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rezensionen

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27.11. Die drei Supermänner räumen auf
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10.10. X 312 … Flug zur Hölle...
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26.08. Das Omen des Bösen
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kurzrezension

09.11. Return of the Warrior
30.05. Iron Sky - Director's Cut (blu-ray)
21.05. Captain Invincible oder „Wer fürchtet sich vor Amerika?“
22.04. True Justice: Angel of Death – Der Todesengel (blu-ray)

blu-ray

Phantasie der Realität

Die Engel von St. Pauli

Die Engel von St. Pauli

Jürgen Roland besaß die große Fähigkeit, sein Hamburger Milieuwissen mit der Kunst dramatischer Krimierzählung so zu vereinen, dass in seinen besten Spannungsfilmen Unterhaltung auf Authentizität trifft. Die geschilderten Ereignisse mögen in ihrer Verdichtung sowie den einzelnen, teils überzeichneten Szenen Produkte der Phantasie sein, sie stehen aber oft im Dienste einer akkuraten Nachdichtung realer Zustände. So wie die Phantasiewelt der Märchen menschliche Verhaltensweisen, Wünsche und psychologische Mechanismen widerspiegelt, so erzählen Rolands Hamburgfilme viel über die soziokulturellen Zustände des Milieus. Insofern betätigte sich der journalistisch geprägte Filmregisseur letztlich als Aufklärer.
Auch der Handlung des St. Pauli-Films „Die Engel von St. Pauli“ liegen reale Ereignisse zu Grunde. Im Rotlichtviertel kam es in den 1960er Jahren zu Auseinandersetzungen zwischen österreichischen und alteingesessenen Kriminellen, weil die Neuankömmlinge im lukrativen Geschäft mitmischen wollten. Jule Nickels (Horst Frank) ist Rolands filmische Version eines Hamburger Kiezkönigs, der mit seinen Getreuen die Lage im Griff hat, bis sich der Wiener Lude Holleck (Herbert Fux) breit macht. Die Österreicher wollen ihren Einflussbereich auf St. Pauli immer weiter ausdehnen. Natürlich versucht Nickels den unliebsamen Konkurrenten mit unmissverständlicher Gewalt klar zu machen, dass sie unerwünscht sind, aber Holleck lässt sich nicht so schnell einschüchtern. Als die Lage endgültig zu eskalieren droht, tötet der Freier Herbert Priel (Werner Pochath) eine Prostituierte. Da Kommissar Behringer (Günther Neutze) nach dieser Gewalttat intensiver im Milieu ermittelt, schließen Nickels und Holleck kurzzeitig Frieden, um den Täter selbst zu zur Strecke zu bringen. Denn beide eint die Abneigung gegen herumschnüffelnde Polizisten. Doch ihr Konflikt schwelt weiter.

Roland spart nicht mit direkten, ruppigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern. Eine der ersten Handlungen der Nickels-Bande ist die „Räumung“ eines Bordells der Österreicher, das einer der Getreuen Nickels' für sich beansprucht. Handfest werden die Prostituierten auf die Straße befördert und das Haus in Besitz genommen. Die Antwort der Österreicher lässt natürlich nicht lange auf sich warten. Doch genauso wichtig wie die Demonstration physischer Stärke sind die psychologischen Nickligkeiten aus Sprüchen und Blicken. Roland fächert verschiedene Machtstrategien der Luden auf, um das Milieuselbstverständnis einzugrenzen. In verdichteter Form präsentiert er ein Gefüge aus Gemeinschaft, Hierarchie, Gewalt und Unterdrückung, das ein System eigener sozialer Regeln formt. Dieses System reflektiert die wahren Zustände im Rotlichtviertel der 1960er Jahre. Hier liegt der aufklärerische Charakter eines Films wie „Die Engel von St. Pauli“, der gleichberechtigt neben dem fulminanten Unterhaltungsaspekt bestehen kann. Die Engel von St. Pauli Denn die geschilderte Grundhaltung des Milieus ist die Basis für alle Spannungs- und Actionszenen, mit denen Roland großes Unterhaltungskino macht. Dabei kann er sich auf die perfekte Ausleuchtung seines Kameramanns Petrus R. Schlömp verlassen. Schummrige Hinterhöfe, Kneipenhinterzimmer oder auch Haupträume setzen den notwendigen schmierigen Ton für die Gewalt der moralisch fragwürdigen Figuren. Denn echte Sympathieträger gibt es nicht. Nickels mag zwar „nur“ seine angestammten Gebiete verteidigen zu wollen, während Holleck als Eindringling auftritt, aber Roland vermeidet es, Nickels als gütigen Kiezpatriarchen zu zeichnen.

Allein die Besetzung der Rolle mit Horst Frank, der stets eine zwielichtige Aura ausstrahlt, verhindert das. Nickels ist letztlich jedes Mittel recht, um seine Macht zu festigen, sofern dadurch die Polizei nicht aufgescheucht wird. Intern greift er hart durch, um seine Regeln durchzusetzen. Im Hinterhof der Gesellschaft agieren die Kriminellen autark. Selbst die Verfolgung eines Mörders wollen sie nicht der Polizei überlassen. Die autonome Abgrenzung gegenüber dem Rest der Bevölkerung ist ein so hohes Gut, dass sogar der Gebietsstreit vorübergehend auf Eis gelegt wird. Dazu passen die perfekt ausgewählten Spielorte der Hinterzimmer oder der abgelegene Schrottplatz. Entscheidend ist stets, für die Öffentlichkeit ein blinder Fleck zu bleiben. Aus dem Ansinnen der Luden, die Vergnügungsoberfläche für die Kunden möglichst zu wahren und die Gewalt in ihren Reihen zu halten, entwickelt sich ein Großteil der Spannung des Films. Denn wie eine Großkeilerei am helllichten Tag zeigt, gelingt das angesichts der brodelnden Kräfte nicht durchgehend. Der Deckmantel wird immer wieder durchschnitten.

Bildqualität

Die Engel von St. Pauli

Die Bildqualität der Bluray ist ausgezeichnet. Dank der sehr guten Abtastung ist es gelungen, ein sauberes und scharfes Bild zu erhalten. Vorbildlicherweise hat man darauf verzichtet, vorhandenes Filmkorn per Filter glatt zu bügeln, was diesen Szenen eine sterile Atmosphäre verliehen hätte. Leichte Unschärfen an der einen oder anderen Stelle liegen an der Qualität des damals verwendeten Filmmaterials beziehungsweise des heutigen Negativzustands. Die Farben machen einen kräftigen und natürlichen Eindruck, was durch die sehr guten Kontrastwerte verstärkt wird. Die einzelnen Szenen strahlen eine direkte Präsenz aus, wodurch Raumwirkung, Ausleuchtung und der Drehort selbst an Kontur gewinnen.

Tonqualität

Auch die Tonqualität gibt keinen Anlass zur Klage. Nennenswerte Verzerrungen tauchen in keiner der Sprachvarianten auf, die Musik kommt wuchtig zur Geltung. Hier wurde die vorhandene Qualität sehr gut auf die Bluray gebracht.

Extras

Auch beim Bonusmaterial hat man sich seitens Subkultur nicht lumpen lassen.
Der Audiokommentar von Pelle Felsch und Oliver Nöding ist gut gelungen, warten die beiden doch mit historischen St. Pauli-Informationen auf und ordnen den Film in diesen Kontext ein. Außerdem gehen sie auf Motive des Werks ein.
Im knapp 16minütigen Interview spricht Darsteller Horst Frank über einzelne Stationen seiner Karriere im allgemeinen und „Die Engel von St. Pauli“ im besonderen. Auch zu Jürgen Roland äußert sich der Mime.
Herbert Fux (Darsteller) nutzt seine gut 13 Minuten Interview, um unter anderem die Leistung freier Filmfinanzierung zu würdigen und den Subventionsbetrieb im Filmgeschäft zu kritisieren.
Das knapp 30minütge Audiointerview mit Regisseur Jürgen Roland gibt einen guten Einblick in den beruflichen Werdegang des Regisseurs, der auch seine Ansichten über filmisches Erzählen erläutert.
Ein Drehortvergleich mit heutigen Aufnahmen sowie ein Vergleich unrestaurierter mit den restaurierten Szenen sind auf der Bluray wie der englische und der französische Titelvorspann ebenfalls enthalten. Zusätzlich kann man sich noch den deutschen, englischen oder französischen Trailer zum Film ansehen sowie eine Bildergalerie ansehen.

Fazit

„Die Engel von St. Pauli“ vereint knackiges Unterhaltungskino mit gut beobachteten Milieugegebenheiten aus dem St. Pauli der 1960er Jahre. Die reibungslose Verbindung gehört zu Jürgen Rolands großen Stärken, die er hier perfekt ausspielt. Ein deutscher Genreklassiker, der nun zurecht wieder entdeckt werden kann. Die technisch hervorragende Bluray macht das zu einem Vergnügen.

Stefan Dabrock

28.01.2016

   
Originaltitel Die Engel von St. Pauli (BRD 1969)
Länge 102 Minuten (24p)
Studio Subkultur Entertainment
Regie Jürgen Roland
Darsteller Horst Frank, Herbert Fux, Werner Pochath, Karl Lieffen, Rainer Basedow, Gernot Endemann, Irmgard Riessen, Uwe Carstens, Denes Törzs, u.a.
Format 1:1,66 (16:9)
Ton DTS-HD-Master-1.0 Deutsch, Englisch, Französisch
Untertitel Deutsch, Englisch
Extras Audiokommentar von Pelle Felsch und Oliver Nöding, Interviews mit Horst Frank, Herbert Fux (beides Darsteller), Audiointerview mit Jürgen Roland, Bildergalerie, Trailer, 12-seitiges Booklet
Preis ca. 35 EUR
Bewertung sehr gut, technisch ausgezeichnet