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kurzrezension

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Willy Brandts Nasenhaare

Sommer der Liebe

Sommer der Liebe

Dieser Text hätte schon vor mehreren Wochen erscheinen sollen. Leider ist man als Rezensent in einer etwas unglücklichen Lage, wenn man einerseits nicht gerne allein vor dem Fernseher sitzt, andererseits aber einen Film von Wenzel Storch zu sichten hat: Es ist nicht ganz einfach, Mitseher zu finden, denn unter Kinokennern geht Storch mittlerweile ohnehin der Ruf voraus, Unterhaltung von einem anderen Stern zu fabrizieren, Laien dagegen schalten spätestens auf Durchzug, sobald man ein paar Eckdaten genannt hat: Alle am Film Beteiligten sind Amateure, gedreht wurde auf Super 8, wesentliche Inspirationsquelle für Autor und Regisseur Storch war der Konsum von LSD. Bezeichnend, dass selbst der hartgesottene Betreiber dieser eherenwerten Webseite die Besprechung an die Außenstelle durchgereicht hat, im Wissen, dass er mit Storchs Oeuvre nichts anzufangen weiß.

„Sommer der Liebe“ war 1992 Wenzel Storchs zweite Regiearbeit nach „Der Glanz dieser Tage“. Während das Leitmotiv des Erstlings der farbenfrohe Katholizismus war, nahm sich Autodidakt Storch im „Sommer“ mit den 70er Jahren die bunteste Dekade der jüngeren Geschichte zur Brust. Farben spielen bei Storch eine große Rolle, anders als gewöhnlichere Aspekte filmischen Schaffens, wie zum Beispiel Handlung. Und deswegen ist es auch ein wenig problematisch, aus dem Wust an Szenen, die die Macher zu den 70ern assoziiert haben, eine inhaltliche Zusammenfassung zu extrahieren, die dem Film gerecht wird, aber versuchen Sommer der Liebe wir's mal: Der als Klosterschreck berüchtigte Gammler Oleander sucht im Jahr 1972 Unterschlupf in einem Nonnenkloster, um dort den Winter zu verbringen. Die Nonnen nehmen ihn trotz einiger Vorbehalte („Der gehört zu den Kerlen, die immer erst abends um zehn aufstehen, dann, wenn andere Leute ins Bett gehen!“) freundlich auf, und Oleander bedankt sich dafür, indem er das Kloster über die kalte Jahreszeit hinweg in ein Rock-Kloster umbaut. Mit den begeisterten und nunmehr frei liebenden Nonnen besucht er im folgenden Sommer der Liebe ein Festival, um authentische schwarze Musik zu hören und Willy Brandts Nasenhaare zu rauchen. Zwischendurch fahren zwei Stofftier-Igel in einem Barbie-Auto durch die Gegend, Trickfilme klären uns über die damalige Sexualmoral auf und Teenager werden zu Wurst verarbeitet. Das alles mit jeder Menge Charakterfressen in wichtigen Rollen, schlabberiger Musik und Kostümen und Kulissen, deren Farbenpracht das Filmmaterial zum Leuchten bringt. Die gnadenlos schunkelnde Kameraarbeit und eine eher rudimentäre Nachsynchronisation runden den Eindruck einer liebevoll handgemachten Wahnsinnstat ab.

Den Film deswegen als Quatsch mit Drogensoße abzutun, würde diesem wilden Ritt nichtsdestotrotz Unrecht tun, denn trotz aller Seltsamkeiten ordnet sich „Sommer der Liebe“ letztendlich in den Postmodernitätsdiskurs der 90er Jahre ein. Alles ist hier Zitat, von den fiesen Hemden und Schlaghosen, die Storch und seine Jungs aus den Bezügen von zusammengeklauten Sperrmüll-Sofas fertigten, über die originalen Pop-Poster, die für die Kulissen geopfert wurden, bis hin zu wirren Textpassagen, die man aus damaligen Jugendpostillen abschrieb und in den bizarreren Momenten des Films genussvoll rezitiert.

Es gibt damit mehrere Zugänge zu diesem kunterbunten Reigen: Entweder man mag die 70er und freut sich an der geballten Zurschaustellung heute halb vergessener Popkultur. Oder man ist Postmodernist und fühlt sich verstanden angesichts einer langen Sequenz, in der Hippies Gitarrensoli auf aus Postern ausgeschnittenen Instrumenten spielen. Oder man kann sich grundsätzlich für psychedelisches Kino begeistern, das das Postulat einer durchgängig erzählten Geschichte breit grinsend über Bord wirft. Wer in zumindest eine dieser drei Kategorien fällt, wird sich großartig unterhalten fühlen. Für alle anderen sind es verdammt harte 84 Minuten.

Bildqualität

Sommer der Liebe

Im Rahmen der Möglichkeiten des Ausgangsmaterials ist das Bild ordentlich. Quer durch den Film gibt es immer wieder kleine Defekte und minimale Laufstreifen, die zwar nie störend wirken, angesichts der langen Produktionszeit der seit sechs Jahren angekündigten DVD aber auch nicht wirklich nachvollziehbar sind. Größere qualitative Aussetzer wie noch bei der DVD zu „Die Reise ins Glück“ sind glücklicherweise nicht zu finden. Die wilden Farben der Kino-Vorlage kommen gut zur Geltung. Gelegentlich wirkt das Bild unscharf, leicht überstrahlt oder milchig, das allerdings ist dem Super8-Material zuzuschreiben und keine Schwäche der DVD.

Tonqualität

Der Ton ist kaum fair zu bewerten. Der Film wurde komplett nachsynchronisiert – manche Passagen sind annähernd stumm, während in anderen ohrenbetäubender Krach dröhnt, der die Dialoge erstickt. Das zumindest ist authentisch aus der Kinoversion herübergerettet worden. Das milde Hintergrundrauschen dürfte auf die preisgünstige Aufnahmetechnik zurückzuführen sein.

Extras

Die erste DVD enthält neben dem Hauptfilm nur eine Handvoll Trailer zu anderen Veröffentlichungen des Labels, unter anderem zu Storchs „Der Glanz dieser Tage“ und „Die Reise ins Glück“. Ein Trailer für „Sommer der Liebe“ fehlt, obwohl dieser durchaus existiert.

Das Bonusmaterial auf der zweiten DVD fällt knapper aus als die vierstündige Making-Of-Monstrosität, die noch der „Reise ins Glück“ beilag. Die spielfilmlange Doku ist unverständlicherweise in zwei Teile gesplittet. Zu sehen und hören gibt es allerlei Interviews mit Beteiligten, Anekdoten und geschnittene Szenen (die leider – wie schon bei „Die Reise ins Glück“ – nicht einzeln anwählbar sind). Erzählt wird das alles mit stoischer Gelassenheit von Rocko Schamoni. Sehr informativ, kurzweilig und sympathisch chaotisch. Die Szenen, in denen Wenzel Storch seine hutzeligen Entwurfszeichnungen für Schlaghosen oder Kloster präsentiert, suggerieren, dass er sich in der Maske des Freaks nicht unwohl fühlt. Wer ihn aber mal persönlich getroffen hat, der weiß, dass der Mann sich nicht verstellt. Der ist echt so.

Ein DVD-Play-Button, der am Anfang des ersten der beiden Doku-Teile kurz erscheint, wirft die Frage auf, wieviel Sorgfalt eigentlich in die Produktion geflossen ist bzw. wie nach all den Jahren seit der Ankündigung der DVD solche Schnellschuss-Fehler noch auftreten können. Davon abgesehen sind die beiden Bonus-Feature-Hälften formal ohne Tadel. Zu diesem Haupt-Extra gibt es als Sahnehäubchen noch das von Wenzel Storch inszenierte Musikvideo zu Bela B.s Single „Altes Arschloch Liebe“ (schönerweise in anamorphem Bildformat).

Der Rest des Bonusmaterials ist eher etwas für Komplettisten: Der fünfminütige Beitrag „Wir wurden gehalten wie Tiere“ ist eine technisch etwas holperige, grantige Rückschau des Popwurstesser-Darstellers Ralf Meyer auf die Drehbedingungen, derer er sich ausgesetzt sah. Zwar amüsant, aber redundant, da beinahe inhaltsgleich auch in der langen Doku zu finden. „Der Grabstein“ ist eine so kurze wie maue geschnittene Szene. Ein Rätsel, warum diese paar Sekunden es als prominentes Extra auf die DVD geschafft haben, die restlichen gekürzten Szenen aber nicht. Die „Resterolle aus dem Gartenschuppen des Cutters“ ist wirklich nicht mehr als das: Drei Minuten durch ungünstige Witterung völlig zerfressene Filmschnipsel aus „Sommer der Liebe“ und „Der Glanz dieser Tage“, untermalt mit hart psychedelischer Instrumentalmusik. Unter dem Einfluss von Drogen wirkt das bestimmt relevant. Als Rausschmeißer bekommt man, wie schon auf der „Reise ins Glück“-DVD, einen Trailer zum Making Of (!) von „Der Glanz dieser Tage“ mit einer Länge von sieben (!!) Minuten.

Eine besondere lobende Erwähnung verdienen die knalligen DVD-Menüs wie auch die wunderschön gestaltete Papp-Hülle, in der sich neben den beiden DVDs noch ein Poster mit einem Motiv aus dem Film findet, auf dessen Rückseite Georg Seeßlens damalige Kritik aus dem Tagesspiegel zu lesen ist. Das zwanzigseitige Booklet enthält Material, das weitgehend schon von Wenzel Storchs Homepage bekannt ist: unter anderem ein paar kurze Presseschnipsel (mehrheitlich spektakuläre Verrisse), Pressefotos, Storchs Entwurfszeichnungen und die bescheuerte Geschichte eines autonomen Lesbenkommandos, das seinerzeit eine Filmkopie aus einem Göttinger Kino klaute.

Fazit

„Sommer der Liebe“ ist ein brutal bunter, quatschiger und spürbar handgemachter Zusammenschnitt der 70er Jahre, gefilmt mit der angeschrägten Perspektive eines bekennenden LSD-Konsumenten. Wer dem Jahrzehnt, der psychedelischen Atmosphäre oder der postmodernen Machart etwas abgewinnen kann, wird sich zuhause fühlen. Alle anderen eher nicht. Die technische Umsetzung ist ordentlich, mit nur leichten, aber nicht nachvollziehbaren Schwächen im Bild, das Bonusmaterial mehrheitlich sehr unterhaltsam. Die nicht einzeln anwählbaren geschnittenen Szenen sind ein kleiner Wermutstropfen.

Lukas Jötten

28.02.2010

   
Originaltitel Sommer der Liebe (BRD 1992)
Länge 84 Minuten (Pal)
Studio Cinema Surreal
Regie Wenzel Storch
Darsteller Jürgen Höhne, Hans Paetsch, Alexandra Schwarzt, Fritzi Korr, Holger Müller, u.a.
Format 1:1,33 (4:3)
Ton DD 2.0 Deutsch
Untertitel -
Extras Zwei Dokumentationen mit fast zwei Stunden Gesamtlänge, Musikvideo, diverse Trailer, u.m.
Preis ca. 25 EUR
Bewertung psychedelisch, technisch ordentlich