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dvd

Die Dynamik der Gewalt

Klass

Rezension von Stefan Dabrock vorlesen lassen

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Klass

Nach einem Amoklauf ist die Sehnsucht groß, das Unfassbare erklären zu wollen. Denn ohne rationale Begründung für das Geschehen bleibt die Ohnmacht bestehen, mit der Opfer und deren Angehörige die Gewalt erfahren haben. Erklärungen sorgen für eine Nachvollziehbarkeit, die bei aller Trauer beruhigt und vielleicht dabei helfen kann, in Zukunft ähnliches zu verhindern. Die erdrückende Ohnmacht weicht einer aktiven Rolle, in der man nicht mehr einfach nur ausgeliefert ist. So ehrenvoll die Versuche auch sind, mit der Stimme der Vernunft einen Amoklauf zu analysieren, als so brüchig erweisen sie sich auch. Computerspiele, Filme, Schusswaffen, brutale Eltern oder sonstige Sündenböcke müssen oft aus ideologischen Gründen als einfache Begründung für den letztlich irrationalen Akt der mehrfachen Tötung herhalten. Der Anspruch an den estnischen Film „Klass“, der die Ereignisse in einer Schule vor einem Amoklauf schildert, sollte deswegen nicht der sein, eine lupenreine, in sich geschlossene logische Erklärung für den Gewaltausbruch zu bekommen. Daran könnte das Werk nur Scheitern, weil die möglichen Reaktionen auf erfahrenes Leid so vielfältig sind, dass die Darstellung der Unausweichlichkeit eines Amoklaufes kaum möglich ist. Der Anspruch an den Film kann nur sein, den Nährboden so eindringlich zu schildern, dass ein Amoklauf als eine mögliche Reaktion eine gewisse Plausibilität besitzt.

Und hier leistet Regisseur Ilmar Raag überzeugende Arbeit, wenn er mit seiner Videokamera die letzten sieben Tage vor der Katastrophe schildert. Joosep ist in seiner Klasse der Prügelknabe, der sich vor allem mit dem Rädelsführer Anders auseinander setzen muss. Die genauen Umstände sind unklar, die dazu geführt haben, dass man sich auf Joosep Klass eingeschossen hat. Seine schlechten Leistungen beim Basketball, die dazu führen, dass die eigene Mannschaft verliert, oder seine zurückgezogene Art, die sich vom draufgängerischen Auftreten Anders' deutlich unterscheidet, sind kleine Hinweise, aber keine abschließende Erklärung. Die Demütigungen gegenüber Joosep nehmen schließlich eine Dimension an, die seinen Mitschüler Kaspar dazu bringt, nicht mehr mitzumachen und stattdessen Joosep beizustehen. Da Kaspar aber ein viel selbstbewussterer, in der Klasse beliebterer Gegner ist, sieht Anders seinen Machtanspruch ernsthaft gefährdet. Zur Festigung seiner Position greift er zu immer drastischeren Mitteln, da die Gegenwehr durch Kaspars Eingreifen schlagkräftiger geworden ist. Die Spirale der Gewalt bekommt eine grausame Dynamik.

Raags Verdienst ist es, diese Dynamik überzeugend in Szene zu setzen. Er zeigt die Entwicklung der Eskalation als Ergebnis eines fatalen Ineinandergreifens verschiedener Einflussgrößen. Die Anziehungskraft der Macht sorgt dafür, dass auch die unbeteiligten Schüler der Klasse Joosep nicht beistehen, weil sie lieber auf der Seite der schweigenden „Täter“ stehen, als selbst in den Sog der Auseinandersetzung zu geraten. Sie machen sich zwar am gewalttätigen Mobbing mitschuldig, verschleiern das aber, indem die Schuldfrage auf perfide Weise umgedreht wird. Hätte Joosep auf Nachfrage der Lehrerin nicht gesagt, dass jemand sein Hausaufgabenheft weggenommen hat, dann hätte die gesamte Klasse nicht die ganze Stunde lang stehen müssen. Die Schuld liegt also bei Joosep. Der eigentliche Auslöser, das weggenommen Heft, wird verdrängt. Die Lehrerin selbst sorgt mit ihrer Klassenstrafe, von der ausgerechnet Joosep ausgenommen wird, ebenfalls dafür, dass die Eskalation angeheizt wird. Auf beängstigende Weise arbeiten die einzelnen Entscheidungen der Figuren Hand in Hand. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, weil auf die jeweilige Eskalationssituation auf eine Weise reagiert wird, die Stärke demonstrieren soll. Eine echte Auseinandersetzung mit der komplexen Situation findet nicht statt, Hilflosigkeit regiert. Sie wird in „Klass“ so dominierend, dass der Film den Ball an den Zuschauer zurück spielt. Jede Fehlentscheidung ist neben der intensiven Dramatisierung des Geschehens gleichzeitig auch eine Frage ans Publikum, wie jeder einzelne hier reagieren würde. So entsteht ein fortwährender Dialog über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Auswegs, der die Dynamik der Gewaltspirale durchbricht. Eine Erklärung für einen Amoklauf liefert „Klass“ nicht, aber einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Nährboden, auf dem die Gewalt ihren Lauf nimmt.

Bildqualität

Klass

Das saubere Bild der DVD überzeugt mit klaren Konturen und einer gelungenen Detailschärfe. Die blassen Farben entsprechen dem visuellen Konzept des Films, das sehr gut auf die DVD übertragen wurde. Der Kontrast ist hier und da etwas flau, so dass das Bild nicht ganz so differenziert wie gewünscht ist. Störende Rauschmuster sind nicht vorhanden.

Tonqualität

Der deutsche 2.0-Ton besitzt klare, verzerrungsfreie Dialoge, die sehr gut verständlich sind und ausgewogen mit der Musik abgemischt wurden. Besonders dynamisch klingt der Ton nicht, da die Möglichkeiten der vorderen Lautsprecher nicht ausgeschöpft werden. Insgesamt ist der Ton aber recht gut, auch wenn die Synchronisation etwas künstlich klingt.
Leider hat sich das Label MFA die Rechte an dem Film gesichert, so dass wieder einmal keine Originaltonspur vorhanden ist. Das ist bei einem aktuellen Film ärgerlich und wird dem Medium DVD nicht gerecht.

Extras

Bonusmaterial existiert nicht.

Fazit

„Klass“ schildert auf beängstigende Weise die Dynamik einer Gewalteskalation und führt einen fortwährenden Dialog mit dem Zuschauer, indem jede fatale Entscheidung die Frage aufwirft, wie man selbst handeln würde. Eine rationale Erklärung für die letztliche Entscheidung der Schüler, einen Amoklauf durchzuführen kann er nicht liefern, aber das sollte man auch nicht erwarten. Ein eindrucksvoller Film. Technisch ist die DVD recht gut, der fehlende Originalton aber indiskutabel.

Stefan Dabrock

27.04.2010

   
Originaltitel Klass (Estland 2007)
Länge 98 Minuten (Pal)
Studio MFA+
Regie Ilmar Raag
Darsteller Vallo Kirs, Pärt Uusberg, Lauri Pedaja, Paula Solvak, Mikk Mägi, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DD 2.0 Deutsch
Untertitel -
Extras -
Preis ca. 15 EUR
Bewertung eindrucksvoll, technisch recht gut