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Mit allen Sinnen genießen

Taxidermia – Friss oder Stirb

Störkanal Nr. 4: alle Filme

Rezension von Stefan Dabrock vorlesen lassen

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Taxidermia – Friss oder Stirb

Das ungarische Kino ist hierzulande wie das der meisten osteuropäischen Länder recht unbekannt. Auch auf dem Heimkinomarkt, auf dem das asiatische Kino beispielsweise fest etabliert ist, sind ungarische Filme selten anzutreffen. Wenn ein Werk aber mit dem Stempel „kontrovers“ oder „ungewöhnlich“ versehen werden kann, dann hat es eine Chance auf Veröffentlichung. So auch György Pálfis Bizarritätenkabinett „Taxidermia“.
Der Film umfasst drei Generationen einer Familie. Zu Beginn ist der Soldat Morosgoványi Vendel zu sehen, der während der Zweiten Weltkriegs auf dem Hof seines Vorgesetzten wie ein Sklave behandelt wird und in einem jämmerlichen Schuppen hausen muss. Die Demütigung setzt sexuelle Energien frei, die Vendel jedoch nicht mit Frauen ausleben kann, weil das Angebot in der Einöde nur sehr gering ist. Daraus resultiert sein Hang zur Selbstbefriedung, den er auf erfinderische Weise auslebt. Sein Sohn, ein eher zufälliges Produkt der ausgefallenen sexuellen Aktivitäten, geht im zweiten Segment des Films dem Sportessen nach. Dabei müssen die „Athleten“ dargebotene Speisen schneller zu sich nehmen als die Konkurrenten. Vendels Nachkomme Balatony Kálmán ist auf diesem Gebiet recht erfolgreich, verpasst aber aufgrund persönlicher Schicksalsschläge den vollständigen Durchbruch. Im Alter wird er als dickleibiger, in seinem Stuhl feststeckender Mann von seinem Sohn, einem Tierpräparator, versorgt. Aber die Spannungen und das unerfüllte Liebesleben des Sohnes führen zu ausufernden, psychischen Störungen.

Wenn man etwas über „Taxidermia“ liest, dann flüchten sich die Autoren oftmals in den Allgemeinplatz, dass die Geschehnisse ungewöhnlich sind. Daraus wird dann, ohne der Ungewöhnlichkeit ein inhaltliches Gesicht zu verleihen, der Schluss gezogen, „Taxidermia“ sei große, wenn auch sicher nicht massenkompatible Kunst und folglich hochwertig. So geschieht es unter anderem auch im Booklet-Text der DVD. Jetzt ist eine ungewöhnliche, mit bizarren Einfällen versehene Handlung eine gute Grundlage für einen sehenswerten Film, weil es spannend ist, wenn Sehgewohnheiten aufgebrochen und Horizonte erweitert werden, aber es Taxidermia – Friss oder Stirb ist keine Garantie. Das Bizarre als Selbstzweck würde beispielsweise nicht genügen, weil es nur als leere Hülle präsent wäre. Das kann man „Taxidermia“ aber kaum vorwerfen, denn die Episoden hinterfragen die Sinnhaftigkeit autoritärer Konstellationen, in dem aus der Machtausübung monströse Folgen erwachsen. Der Soldat befriedigt sich zunehmend in einer vom gesellschaftlichen Mainstream nicht tolerierten Weise, die ihm sowohl körperlichen als auch seelischen Schaden zufügt. Sein Sohn nimmt an der organisierten Entwertung der Lebensmittel teil, weil das Sportessen Nahrung zum Wettkampf degradiert. Die Völlerei mit anschließendem kollektiven Kotzen der Athleten ätzt gegen den kommunistischen Apparat, dessen sozialistische Ideologie als Schein entlarvt wird, da die autoritäre Struktur einen perversen Leistungswahn entfacht hat. Die Dekadenz hinter der sinnlosen Nahrungsmittelverwendung entpuppt sich als böser Kommentar auf die angeblich moralisch überlegene Gesellschaftorganisation. Das Ungewöhnliche gerät in „Taxidermia“ glücklicherweise nicht zum Selbstzweck, es ist Teil einer bissigen Auseinandersetzung.

Unglücklicherweise wurde der Film aber mit dem spröden Charme osteuropäischer Kinotradition sozialistischer Prägung gefilmt. Die groteske Überzeichnung trifft auf eine visuelle Ausgestaltung mit einem grau-grünlichen Farbstich. Das mag zwar die Muffigkeit der gesellschaftlichen Befindlichkeit widerspiegeln, in der sich die einzelnen Ereignisse abspielen, den überdrehten Ideen läuft es aber entgegen. Die werden innerhalb des Films mit ruhiger, fast schon stoischer Ernsthaftigkeit praktiziert, wenn die Figuren ohne mit der Wimper zu zucken absurdeste Dinge vollführen und die Kamera dabei zusätzlich stärker auf statische denn auf dynamische Bilder setzt. In der Kombination der Elemente entwertet sich der Film selbst. Es wäre denkbar, dass Groteske und spröde Optik einen reizvollen Kontrast ergäben, wenn Schnitt und Kamerabewegung der visuellen Tristesse etwas entgegen setzen würden, aber im Gleichschritt marschierend schaffen sie es, die Handlungseinfälle des Films niederzuknüppeln. So bleibt nur die intellektuelle Erfassung des kritischen Ansatzes übrig, mit dem „Taxidermia“ entstanden ist, emotional herrscht biedere Langeweile.

Bildqualität

Taxidermia – Friss oder Stirb

Die DVD präsentiert den Film mit einer soliden Bildqualität ohne besondere Stärken oder tiefgreifende Schwächen. Die Konturen wirken immer wieder etwas weich und der Detailreichtum kann nicht mit den besten aktuellen DVD-Produktionen mithalten. Die triste Farbpalette des Films wurde sehr gut auf die DVD übertragen, auch der Kontrast macht eine gute Figur, da er verhindert, dass die ähnlichen Farbbereiche ineinander fließen.

Tonqualität

Die DD 5.1 Tonspuren verfügen über klare und verständliche Dialoge, sonst ist ihre Qualität eher mager. Eine räumliche Atmosphäre stellt sich auch bei den wenigen Szenen, bei denen sich das anbieten würde, kaum ein, da die hinteren Lautsprecher weitgehend stumm bleiben. Auch die Abmischung des Tons auf den vorderen Lautsprechern ist nicht so präsent wie bei anderen Filmen, da die Möglichkeiten, Geräusche zu verteilen, nur selten genutzt werden.

Extras

Das etwa 42-minütige Making Of versammelt einige Stabmitglieder zu Interviews, die mit Filmausschnitten und B-Roll-Material illustriert werden. Dabei erfährt man einiges über die Hintergründe des Films, dessen literarische Vorlage hierzulande weitgehend unbekannt sein dürfte, und die technische Umsetzung sowie das künstlerische Konzept.
Ein Trailer zum Film ist auf der DVD ebenfalls enthalten. Darüber hinaus gibt es ein 11-seitiges Booklet, das ein hübsches Interview mit Darsteller Marc Bischoff und einen Text enthält, der sich damit begnügt, dem Film das Etikett „ungewöhnlich“ aufzukleben.

Fazit

„Taxidermia“ fährt seine grotesken Einfälle jenseits des guten Geschmacks mit allen zur Verfügung stehenden filmischen Mitteln aus Schnitt und Kamera soweit herunter, dass die satirische, Autoritäten hinterfragende Note zugrunde gerichtet wird. Technisch ist die DVD solide.

Stefan Dabrock

24.07.2011

   
Originaltitel Taxidermia (Ungarn 2006)
Länge 91 Minuten (Pal)
Studio I-on new media
Regie György Pálfi
Darsteller Csaba Czene, Gergely Trócsányi, Marc Bischoff, István Gyuricza, Piroska Molnár, Gábor Máté. Géza Hegedüs D., u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DD 5.1 Deutsch, Ungarisch
Untertitel Deutsch
Extras Making Of, Trailer, 11-seitiges Booklet
Preis ca. 15 EUR
Bewertung spröde, technisch solide