Sektion
gegen das Vergessen
Vital
Ein
Autounfall kann vieles auslöschen. Bei Hiroshi ist es das Erinnerungsvermögen
an seine Vergangenheit, bei seiner Freundin Ryôko, die mit im
Wagen saß, ist es das Leben. Als Hiroshi ein Anatomiebuch in
die Hand bekommt, erinnert er sich zumindest wieder an seine medizinischen
Interessen. Er war Student. Da seine Leidenschaft neu erwacht, besucht
Hiroshi wieder Kurse an der Universität. Im aktuellen Semester
steht Anatomie anhand realer Studienobjekte auf den Plan, die Studenten
sollen Sektionen vornehmen. Die tote Frau auf Hiroshis Tisch ist seine
Freundin Ryôko. Natürlich bemerkt der junge Mann das nicht,
da sein Erinnerungsvermögen noch nicht wieder hergestellt ist.
Doch mit dem ersten Schnitt nimmt Hiroshi Veränderungen war.
Einerseits kehren Erinnerungen wieder, andererseits taucht er in eine
Parallelwelt ein, in der er eine höchst lebendige Ryôko
trifft.
Für Hiroshi sind die Reisen in das andere Dasein Momente des
Glücks, die durchaus einen emotionalen Kern der Geschichte offenbaren,
aber selbst hier bleibt Shinya Tsukamotos Film bei seiner intellektuellen
Ebene. Der
rötliche
Farbfilter, den er hier gerne einsetzt, taucht die Szenerie nicht
in eine kitschige Optik, sondern betont die Künstlichkeit der
Parallelwelt. Artifizielle Tanzeinlagen seitens Ryôkos sowie
philosophisch anmutende Gespräche heizen die vergeistigte Atmosphäre
weiter an. Der Realitätsfaktor dieser Welt wird ebenso in Zweifel
gezogen wie der des Daseins überhaupt. Nicht umsonst erzählt
Hiroshi mehr als einmal die Geschichte vom sterbenden Roboter auf
dem Mars, der alle Erinnerungen an die Menschheit in sich aufgenommen
hat und in seinen letzten elektronischen Zuckungen Momente dieser
Erinnerung noch einmal abspielen lässt. Innerhalb der so dargebotenen
Konstruktion sind die Charaktere gefangen. Häufig verharren sie
nahezu unbeweglich in sich gekehrt an einem Ort, während die
Kamera ebenso unbeweglich die kaum spürbaren Regungen aufnimmt
und nur sehr bedächtig gesprochene Sätze hörbar sind.
Das trägt nicht zur Emotionalisierung der Erzählung bei.
Stattdessen setzt der Regisseur auf seine intellektuelle Konstruktion,
die durchaus interessant ist, aber nur wenig Kraft besitzt.
Bildqualität
Das
Bild weist keine Verschmutzungen oder Defekte auf, wie es sonst bei
asiatischen Filmen schon mal öfter vorkommt. Die Schärfe
ist sehr ordentlich, was vor allem der Konturenzeichnung zu Gute kommt.
Die Detaildarstellung ist etwas schwächer, Insgesamt aber kann
man mit dem Ergebnis zufrieden sein. Die Optik des Films ist vor allem
durch die wechselnden Farbfilter geprägt. Das wurde kongenial
auf die DVD übertragen, welche kräftige Blau- sowie Rottöne
wieder gibt. Der Kontrast fällt gut aus, da keine wesentlichen
Bildteile verschluckt werden. Rauschmuster sucht man vergeblich.
Tonqualität
Der
japanische 5.1-Ton liefert eine gute Vorstellung auf den vorderen
Boxen, die gelegentlich durch Soundtrack-Effekte auf den hinteren
Boxen unterstützt wird. Besonders intensiv fällt der räumliche
Klang aber nicht aus. Die Dialoge sind klar und verständlich.
Der deutsche 5.1-Ton ist demgegenüber etwas dürrer, aber
auch in Ordnung.
Extras
Das
20minütige Making Of besteht im wesentlichen aus B-Roll-Material
der Dreharbeiten, das durch Interviewausschnitte mit Regisseur Shinya
Tsukamoto ergänzt wurde. Die Aufnahmen der Dreharbeiten besitzen
Einblendungen, in denen das Material sowohl örtlich als auch
zeitlich in den Terminplan eingeordnet wird. Darüber hinaus wurden
die Anweisungen des Regisseurs sowie andere Wortmeldungen deutsch
untertitelt. Letzteres sorgt in Verbindung mit der Auswahl des Materials,
das auch strukturierte Anweisungen enthält, dafür, dass
das B-Roll-Material Informationsgehalt besitzt. Tatsächlich kann
man ein wenig nachempfinden, wie die Dreharbeiten abgelaufen sind.
Der 10minütige Beitrag über die Filmfestspiele in Venedig
arbeitet auf ähnliche Weise und begleitet Regisseur sowie Darsteller
beim Auftritt in Venedig. Das ist ganz nett, mehr als ein bisschen
Starreportage bietet es aber nicht.
Etwa zweieinhalb Minuten lang dauern die Impressionen von der Japan-Premiere
des Films. Hier sieht man den Regisseur sowie die Darsteller auf der
Kinobühne und jeder darf ein paar warme Worte ans Publikum richten.
Sehr gelungen ist das Interview mit Regisseur Shinya Tsukamoto (11
Minuten), in dem er sich detailliert über seine philosophische
Grundkonstruktion sowie den Antrieb seines filmischen Schaffens äußert.
Intelligent reflektiert er die Themen seiner Arbeit und ordnet "Vital"
darin ein.
Ebenfalls lohnenswert ist das Interview mit dem Maskenbildner Takashi
Oda, der sich ausführlich über seine Recherchen im Vorfeld
des Films äußert sowie den Prozess der Leichenmodellherstellung
beleuchtet.
Ein Musikvideo sowie der Trailer runden das Bonusmaterial ab.
Fazit
Shinya
Tsukamoto erweist sich mehr als Herr über intellektuelle Gedankenmuster
als dass sein "Vital" das Herz erreichen würde. Mit
der strengen Kälte einer genau konstruierten Geschichte widmet
sich der Film Fragen um Realität, Seele sowie dem Geheimnis des
menschlichen Körpers. Technisch ist die DVD gut, das Bonusmaterial
hat seine Stärken.
Stefan Dabrock
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Originaltitel |
Vital
(Japan 2004) |
Länge |
86
Minuten (Pal) |
Studio |
Rapid
Eye |
Regie |
Shinya
Tsukamoto |
Darsteller |
Tadanobu
Asano, Nami Tsukamoto, Kiki, u.a. |
Format |
1:1,85
(16:9) |
Ton |
DD
5.1 Deutsch, Japanisch; DD 2.0 Deutsch |
Untertitel |
Deutsch |
Extras |
Making
Of, Interviews, u.m. |
Preis |
ca.
20 EUR |
Bewertung |
intellektuell
interessant, technisch gut |
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