Überlebenskampf in der Windschutzscheibe

Stuck (Blu-Ray)

StuckSchuld sind immer die anderen in einer Welt, in der das Einstehen für eigene Fehler nicht mehr üblich ist. Das muss auch Thomas Bardo erfahren, als er zu seinem Termin beim Arbeitsberater kommt. Mit genervtem Blick erklärt ihm der zuständige Sachbearbeiter, dass im Computer kein Thomas Bardo zu finden sei, so dass Bardo wohl kaum das notwendige Formular ausgefüllt haben könne. Er solle sich doch bitte an die Regeln halten, wenn er Hilfe erwarte. Bardo, der zuvor aus seiner Wohnung geflogen ist, zieht resigniert mit dem Formular in der Hand ab. Als ein Polizist den auf einer Parkbank ruhenden Bardo aufscheucht, nimmt das Unglück seinen Lauf. Bardo macht sich mit einem Einkaufswagen, den ihm ein Obdachloser geschenkt hat, auf den Weg zur Mission. Dabei wird er von einer unter Drogen stehenden, jungen Altenpflegerin angefahren, die gerade auf dem Weg nach Hause ist. Bardo hängt in der Windschutzscheibe fest, die er durchschlagen hat. Die Autofahrerin fährt aus Panik mit ihm in der Scheibe nach Hause, wo sie das Gefährt in der Garage abstellt, um zu überlegen wie sie den Mann los werden kann. Der schwer verletzte Bardo versucht unterdessen alles, um sich aus der lebensbedrohlichen Lage zu befreien.

Auf zeitlich sowie räumlich engstem Raum entfaltet Stuart Gordon ein bitteres Gesellschaftspanorama, das die unsozialen Schwachstellen in ihrem Kern offenlegt. Die freiheitlich genannte Art der westlichen Lebensweise entpuppt sich Brutstätte unsolidarischen Verhaltens, dessen Ausgangspunkt ein ständiger Selbstbezug ist, der sich um die Sicherung der eigenen Position kümmert. Im Ergebnis sind stets die anderen an den offensichtlichen Fehlern sowie Unglücksfällen Schuld. Verantwortung taucht innerhalb von „Stuck“ nur noch als Stuck Verantwortung für das eigene Wohl auf. Neben dem Arbeitsberater, der nicht auf die Idee kommt, dass das Fehlen Bardos im Computer auch in seinem Verantwortungsbereich liegen könnte, symbolisiert vor allem die junge Altenpflegerin diese Sichtweise, wenn sie in einer unglaublichen Szene dem verletzt in der Windschutzscheibe hängenden Bardo die anklagende Frage stellt, warum er ihr das antue. Ihr schwer nachvollziehbares Fehlverhalten, mit dem sie das Leben Bardos gefährdet, steht in einem harten Kontrast zu ihrer beruflichen Tätigkeit. Als Pflegerin legt sie eine teilweise selbstlose Fürsorge an den Tag, mit der sie als sympathische Figur in den Film eingeführt wird.

Aber auch an ihrer Arbeitsstelle lauert die hässliche Fratze der sozialen Kälte in Form der Leiterin, die mit einer geschickt platzierten Beförderungsmöglichkeit die junge Frau dazu bringt, eine samstägliche Sonderschicht zu übernehmen. Das fürsorgliche Auftreten der Pflegerin an ihrem Arbeitsplatz zahlt sich nicht aus, da sie statt Dankbarkeit nur eine psychologische Manipulation erntet. Wie eine Saftpresse agiert die Anstaltsleiterin ihren Mitarbeiterinnen gegenüber, indem sie die Arbeitskraft der jungen Frauen auspresst. Das Verhalten der Pflegerin gegenüber dem Unfallopfer ist deswegen letztlich nur eine Spiegelung der sozialen Kälte, welche die Gesellschaft auch in anderen Bereichen erfasst hat. Schuld und Verantwortung werden nach der zugrunde liegenden Logik abgeschoben, wenn es möglich ist.

Deswegen muss der in der Windschutzscheibe hängende Thomas Bardo selbst um das Überleben kämpfen, da er nicht auf Hilfe von außen hoffen kann. Die absurde Situation Bardos, der sich als Gefangener in einer Garage befindet, deren Standort er nicht einmal kennt, strahlt eine intensive Grimmigkeit aus. Gordon vermeidet jegliche Komik, indem er das Leiden sichtbar macht. Die Verletzungen sind stets als lebensbedrohlich erkennbar. StuckKurze Hoffnungsschimmer steigern die Anspannung und werden zu einem bitteren Baustein des Martyriums, wenn sie wieder verschwinden. Dabei gelingt es Gordon, auf elegante Weise weitere Aspekte einzuflechten. Ein Familie illegaler Einwanderer holt nur deswegen keine Hilfe, nachdem der spielende Sohn den verletzten Bardo in der Garage entdeckt hat, weil sie Angst haben, dann ausgewiesen zu werden. Mit „Stuck“ legt Regisseur Stuart Gordon eine grimmige Anklage angesichts einer im Kern unsolidarischen Gesellschaft vor, innerhalb der die einzelnen Individuen ums Überleben kämpfen. Dabei flechtet Gordon Aspekte wie die Arbeitswelt, private Beziehungen, den Umgang mit Älteren sowie die Situation illegaler Zuwanderer ein, um so ein vielschichtiges Panorama zu zeichnen.

Bildqualität

Das saubere Bild der Blu-Ray weist eine durchschnittliche Schärfe auf, die nur selten die Möglichkeiten des HD-Formates durchscheinen lässt. Konturen- und Detailschärfe sind nicht schlecht, aber oftmals etwas weich. Die Farbwiedergabe ist gelungen, wird doch die triste Atmosphäre der Grau- und Brauntöne gut dargestellt. Der Kontrast macht eine ordentliche Figur. Neben der Grundkörnigkeit des Ausgangsmaterials, die immer wieder durchscheint, sind keine sonstigen Rauschmuster feststellbar.

Tonqualität

Die 5.1-Spuren können aufgrund der oftmals kammerspielartigen Handlung kein großes Feuerwerk des Raumklangs abbrennen. Die Dialoge sind klar und verständlich. Die übrige Tonkulisse nutzt vor allem die Bandbreite der vorderen Lautsprecher, nur die Musik sorgt zwischendurch für eine Nutzung der hinteren Boxen. Insgesamt eine solide Abmischung ohne große Stärken und Schwächen.

Extras

Der Audiokommentar von Stuart Gordon (Regie), John Strysik (Drehbuch) und Mena Suvari (Darstellerin) wird dann interessant, wenn es um die zugrunde liegende wahre Geschichte sowie die Unterschiede zwischen erster Drehbuchfassung und fertigem Film geht. Die Ausführungen zum Drehort sind ebenfalls informativ. Zwischendurch gleiten die Drei aber auch in unreflektierte Lobbekundungen ab, so dass der Audiokommentar insgesamt guter Durchschnitt ist.

Neben dem Audiokommentar lohnen sich die beiden Beiträge „Die Adaption der wahren Geschichte“ (etwa 17 Minuten) und „AFI Filmfestival“ (etwa 25 Minuten). In „Die Adaption der wahren Geschichte“ stellen Regisseur Stuart Gordon, Drehbuchautor John Strysik sowie die Hauptdarsteller den Zusammenhang zu dem realen Vorfall her, auf dem „Stuck“ basiert, der sich 2001 in Fort Worth, Texas, ereignet hat. In kompakter Form erfährt man hier noch einmal die Hintergründe der Filmhandlung. Hinter „AFI Filmfestival“ verbergen sich Interviews mit Stephen Rea (Darsteller) und John Strysik (Drehbuch), die auf dem in Dallas stattfindenden Festival geführt wurden. Neben den interessanten Ausführungen über den Dreh sowie die Herangehensweise an den Film, sind Aufnahmen von Publikumsfragerunde nach der Aufführung zu sehen.

In „Make-Up Effekte“ (etwa neun Minuten) kommt Effektmann Mike Measimer zu Wort, der einiges über den Schminkprozess zum Besten gibt. Der Beitrag „Die Entsteheung von 'Stuck'“ liefert in Interviewsschnipseln und B-Roll-Material gegenüber dem restlichen Bonusmaterial nichts neues. Texttafelfilmographien zu den Hauptdarstellern runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Stuck“ legt die Finger auf die Wunde der unsolidarischen Aspekte unserer Gesellschaft. Mit grimmiger Entschlossenheit gelingt es Stuart Gordon, das intensive Genre-Kammerspiel für eine vielschichtige Betrachtung zu nutzen, in der die soziale Kälte der Arbeitswelt ebenso ihren Platz hat wie der Hang der Menschen, Verantwortung für Fehler abzuschieben. Technisch die die Blu-Ray durchschnittlich, das Bonusmaterial überzeugt.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Stuck (USA / Kanada 2007)
Länge 86 Minuten (24p)
Studio Constantin
Regie Stuart Gordon
Darsteller Mena Suvari, Stephen Rea, Russell Hornsby, Rukiya Bernard, Carolyn Purdy-Gordon, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DTS-HD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Audiokommentar mit Stuart Gordon (Regie), John Strysik (Drehbuch) und Mena Suvari (Darstellerin), Die Entstehung von „Stuck”, u.m.
Preis ca. 19 EUR
Bewertung sehr gut, technisch durchschnittlich