Die schlechte Nachricht zur deutschen DVD-Veröffentlichung des amerikanischen Films „Senseless“ ist, dass der Film für das leichter vermarktbare FSK-Siegel „Keine Jugendfreigabe“ zwar wenig aber entscheidend geschnitten werden musste.
Innerhalb der Filmhandlung wird der amerikanische Staatsbürger Elliot Gast während eines Europa-Aufenthaltes durch politische Aktivisten entführt und gefangen gehalten. Gasts relativ ordentlich ausgestattetes, ganz in weiß gehaltenes Gefängnis wird durch Webcams überwacht, die seine Gefangenschaft ins Internet übertragen. Dort können die Nutzer darüber abstimmen, ob Gast freigelassen werden oder ob er weiter eingesperrt bleiben soll. Natürlich kann der einzelne Nutzer nur abstimmen, wenn er auch Geld bezahlt. Da sich eine ereignisarme Gefangenschaft nicht gut vermarkten lässt, wird Gast in regelmäßigen Abständen verschiedenen Foltermethoden unterzogen. Seine Entführer berauben ihn mit Lötkolben und anderen Werkzeugen seiner Sinne, um den Besuchern der Internetseite etwas zu bieten und um Gast stellvertretend für den ihrer Meinung nach aggressiven Imperialismus der USA zu bestrafen.
Neben der sehr offensichtlichen Fragestellung, inwieweit der Einzelne für die Verfehlungen verantwortlich ist, die einem Land zur Last gelegt werden, besticht der Film aber vor allem durch die vielen zusätzlichen Aspekte, welche durch Schnitt und Dramaturgie zu Tage treten. Gast selbst, der keinesfalls der völlig unbeteiligte Bürger ist, wird in Zwischenschnitten seines jetzigen Lebens einerseits als biederer Familienmensch und andererseits als Teil eines gleichermaßen faszinierenden wie abstoßend dekadenten Lebensstils charakterisiert. In einer Szene ist Gast Teil einer Bankettgesellschaft, der gerade eine ganz besondere, kulinarische Spezialität gereicht wird. Der Gastgeber erläutert mit blasierten Worten, dass die Speise unter einem Tuch eingenommen wird, um die Besonderheit der Aromen aufnehmen zu können, oder aber, so sein dekadenter Nachsatz, damit Gott sie nicht beobachten könne. Was wie eine einseitige plakative Anklage westlichen Niedergangs wirken könnte, ist vielmehr eine Charakterisierung der Dekadenz als eine aus purem Überfluss geborene Handlungsweise. Nahrung wird an dieser Stelle zu einem reinen Genussmittel des Verbrauchs, ohne dass die Sättigung eine besondere Rolle spielt. Simon Hynd schneidet die Szene in den Film nach Elliot Gasts Frage an seinen Entführer, warum er denn ein Gefangener sei. Indem Hynd eine in ihrer Dekadenz durchaus abstoßende, aber in letzter Konsequenz harmlose Szene als Begründung anbietet, wirft er die Frage auf, inwieweit die Gründe der Aktivisten die Gefangennahme mit Folter überhaupt rechtfertigen können.
Gleichzeitig führt er einen Dekadenzbegriff in das Geschehen ein, der unmittelbar auf die Entführer verweist. Ihre Art und Weise, Elliot Gast als Material für die eigenen Ziele zu „verbrauchen“ ist in noch größerem Maße abstoßend dekadent. Ihr Terrorismus wird dadurch zu einer Handlungsweise, die längst korrumpiert ist. Ganz unabhängig von der Fragestellung, ob Gewalt überhaupt ein geeignetes Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele ist, dringt die blasierte, überlegen arrogante Art und Weise des Anführers der politischen Aktivisten in Verbindung mit dem Verbrauchsaspekt als Zeichen des Niedergangs in das ideologische Gedankengut ein. Das ideologische Scheitern ist deswegen bereits eingebaut. Die Folterungen an Elliot Gast sind auch Ausdruck der Unfähigkeit, über die Ebene der Kommunikation die eigenen Ziele zu vertreten. Deswegen entfernen die Entführer ihrem Gegenüber konsequent die Sinne, so dass es immer schwieriger wird, in Kontakt zu treten. Dass nun gerade diesen Szenen durch die entsprechenden Schnitte ein wenig der Schrecken genommen wird, verändert den Film genau an dieser Stelle. Das Ergebnis ist zwar immer noch Teil des Films, aber der an schmerzhafter Intensität beispiellose Akt der Dekadenz und der Ohnmacht wurde weitgehend entfernt. Im Prinzip mildert das das Vorgehen der Terroristen ab. Im Kontext der Dramaturgie ist das ein eher problematischer Eingriff.
Bildqualität
Das Bild weist theoretisch Schwächen hinsichtlich Schärfe und Kontrast auf, aber das wirkt sich auf die Wahrnehmung nicht negativ aus, da der Film über die Webcam-Konstruktion innerhalb der Handlung mit der Ästhetik spielt. Das Bild sieht passenderweise etwas unfertig und rau aus, ohne dass dies aber zu sehr Überhand nimmt. Auch die leichten Nachzieheffekte stören nicht. Insgesamt ein Bild, das absolut in Ordnung ist.Tonqualität
Die beiden 5.1-Spuren liefern klare und verständliche Dialoge. Angesichts der dramaturgischen Konstruktion ist keine nennenswerte räumliche Atmosphäre vorhanden, aber das ist bei diesem Kammerspiel auch nicht notwendig.Extras
Das Bonusmaterial besteht aus dem Trailer und einer Leseprobe des Romans „Senseless“ als PDF-Datei.Fazit
„Senseless“ entlarvt das terroristische Vorgehen der politischen Aktivisten als dekadente Verblendung. Der eigene Niedergang ist bereits Teil des in sich brüchigen ideologischen Konzepts. Glücklicherweise ist Elliot Gast kein völlig unschuldiger Bürger, so dass ein ambivalentes Stück Film entstanden ist. In der geschnittenen Fassung wird dem Werk jedoch seine Schärfe entzogen. Technisch ist die DVD gut.Stefan Dabrock
Originaltitel | Senseless (USA 2008) |
Länge | 87 Minuten (Pal) |
Studio | Ascot Elite |
Regie | Simon Hynd |
Darsteller | Jason Behr, Joe Ferrara, Emma Catherwood, u.a. |
Format | 1:1,78 (16:9) |
Ton | DD 5.1 Deutsch, Englisch |
Untertitel | Deutsch |
Extras | Trailer, Leseprobe aus dem Roman „Senseless” |
Preis | ca. 12 EUR |
Bewertung | geschnittene Fassung ist problematisch, technisch gut |