Für eine herausragende DVD-Edition (sehr gute Bildqualität und überzeugendes Bonusmaterial) wird dieser DVD der Gipfel verliehen.
Nach dem Desaster mit „Tusk“ (1980) brauchte Alejandro Jodorowsky neun Jahre, bis er eine neue Produktion auf die Beine stellen konnte. Dario Argentos Bruder Claudio fungierte bei „Santa Sangre“ als Produzent, während Jodorowsky die Regie übernahm. Erzählt wird die Geschichte des kleinen Jungen Fenix, der im Zirkus aufwächst. Sein Vater betrügt seine Mutter mit einer am ganzen Körper tätowierten Artistin. Die Mutter ihrerseits versucht sich als Hüterin einer kleinen Privatkirche, in der eine Frau ohne Arme als Heilige verehrt wird. Als sie das ehebrecherische Treiben ihres Mannes entdeckt, geht sie mit Säure auf ihn los. In wilder Wut trennt der Angegriffene seiner Frau mit letzter Kraft beide Arme ab. Fenix, der die Szenerie beobachtet hat, landet in einer Nervenheilanstalt. Einige Jahre später taucht plötzlich seine Mutter auf, der er sich anschließt. Sowohl im Alltag als auch in einer Showpantomime ersetzt Fenix fortan die Arme seiner Mutter. Aber Fenix' Seelenqual ist noch längst nicht vorbei.
Obwohl die Geschichte vergleichsweise stringent erzählt ist, macht sich dieser Umstand kaum bemerkbar, da Jodorowsky sein Werk mit Anspielungen, Symbolismen oder surrealen Sequenzen vollgestopft hat. Sie alle dienen dazu, der ödipalen Traumaerzählung zusätzliche Dimensionen zu verleihen. Fenix ist zwar körperlich frei, aber seelisch an seine übermächtige Mutter gefesselt, so dass er keine andere Wahl hat, als Teil ihres Körpers zu werden. Seine Arme vervollständigen seine Mutter, während sie ihm nicht mehr zur Verfügung stehen. Dadurch überträgt sich die Amputation auf Fenix, der verzweifelt nach Erlösung sucht. Sein seelischer Zwangszustand findet vielfältige Reflexionen in bizarren Nebenereignissen. Ein Elefant stirbt, indem Blutbäche aus seinem Rüssel fließen, in Halluzinationen kämpft Fenix mit einer Python und seine Mutter bringt ihn dazu, die Frauen zu töten, die sein Interesse wecken. Da die sexuelle Begierde Fenix von seiner Mutter entfernen könnte, sorgt sie dafür, dass die Nebenbuhlerinnen ins Jenseits gebracht werden. Denn sie will die einzige Frau in Fenix' Leben bleiben. Dank der vielfältigen Traumwelten, den unnachahmlichen Zwangsszenen, in denen Fenix' Abhängigkeit von seiner Mutter gezeigt wird und einem Axel Jodorowsky in der Rolle des Fenix, dessen traurige Augen die Qual seiner Seele widerspiegeln, ist Alejandro Jodorowsky ein emotionales Drama gelungen, das weniger verkopft daher kommt als seine früheren Werke „El Topo“ (1970) oder „Montana Sacra“ (1973). Stattdessen verbinden sich Thriller, Folklore, existenzielles Drama und surrealistischer Bilderbogen zu einer rasanten Einheit visionärer Kraft, die ganz nebenbei auch noch dem berühmten mexikanischen Ringer Santo, wenn auch in Form einer Frau, huldigt.
Bildqualität
So wie auf dieser DVD sollte ein Alejandro Jodorowsky Film aussehen. Verschmutzungen oder Bilddefekte sind nicht zu erkennen, die ausgezeichnete Schärfe sorgt für ein detailreiches Bild, das sich weder bei Totalen noch Nahaufnahmen Schwächen leistet. Das leichte Hintergrundrauschen vermag die Schärfe nicht zu beeinträchtigen. Die Farben sehen genauso knallbunt aus, wie Jodorowsky seine vollgeladenen Bilder gestaltet hat. Der Kontrast sorgt für ein plastisches Bild. Insgesamt eine gipfelwürdige Vorstellung.Tonqualität
Der englische Ton liegt in 5.1-Qualität vor. Eine besonders aufwändige räumliche Kulisse vermag er zwar nicht zu verbreiten, überzeugt aber durch seine kristallklare Klangfarbe, die sowohl die Dialoge als auch die Musik bestens zur Geltung bringt. Da die räumlichen Qualitäten weniger präsent sind, siedeln sich die beiden 2.0-Spuren in ähnlich hochwertigen Regionen an.Extras
Auf der ersten DVD ist neben den normalen Tonspuren auch ein Audiokommentar mit Alejandro Jodorowsky (Regie) und Alan Jones (Journalist) enthalten. Beide plaudern sehr ausführlich über die Produktionsumstände sowie die poetischen Momente innerhalb des Films. Jodorowsky ist durchaus bereit, sich in seine intentionalen Karten gucken zu lassen, was den Kommentar sehr interessant macht.
Auf einer zweiten DVD sind die übrigen Extras enthalten, unter denen zunächst die 86minütige Dokumentation „La Constellation Jodorowsky“ hervorsticht. Darin kommen unter anderem Jodorowsky selbst, Fernando Arrabal, Marcel Marceau und Jean Giraud (Moebius) zu Wort. Die Dokumentation widmet sich sehr ausführlich dem künstlerischen Weltbild Jodorowskys und seinem Werk. In langen Interviewsequenzen entwickelt Jodorowsky seine Vorstellungswelt, die in philosophischen Gedankengängen über die eigene Existenz münden. Sehr spannend sind Aufnahmen aus den Mittwochsvorlesungen, die Jodorowsky seit etlichen Jahren hält. In der längsten Sequenz daraus geht es um eine genealogische Identitätsanalyse in Form eines Rollenspiels.
Jodorowsky im Interview (etwa 25 Minuten) präsentiert einen gutgelauten Alejandro Jodorowsky im Anschluss an eine „Santa Sangre“-Vorführung in einem Londoner Kino. Der Regisseur plaudert sehr aufgeweckt über männliche Genitalien, seine frühen Masturbationserfahrungen und bezeichnet sich als Takashi-Miike-Fan. Vor allem „Fudoh“ hat es ihm angetan. Die Deleted Scene mit Audiokommentar von Alejandro Jodorowsky (Regie) und Alan Jones (Journalist) ist als erzählerische Randnotiz zum Geschehen ganz interessant, aber nicht zwingend. Der Kommentar ist mehr nacherzählender Natur.
Ein drolliger Kurzstummfilm von Jodorowskys Sohn Adan Jodorowsky mit dem Titel „Echek“ - der Audiokommentar von Alejandro Jodorowsky ist hier nicht der Rede wert -, eine Bildergalerie und der Trailer runden das Bonusmaterial ab. Das Booklet mit einem Text über das Werk Jodorowskys ist zwar durchaus ganz interessant, hier wäre aber eine ergänzende Einordnung des Films „Santa Sangre“ in die theoretischen Überlegungeen zwingend notwendig gewesen. So handelt es sich nur um die Resteverwertung einer herumliegenden Arbeit über Jodorowsky.
Fazit
„Santa Sangre“ ist Alejandro Jodorowskys visionäre Art, einen klassischen Erzählfilm in surreale Ebenen zu heben, ohne die emotionalen Qualitäten des ödipalen Dramas zu vernachlässigen. Technisch ist die DVD ausgezeichnet, das Bonusmaterial sehr gut. Insgesamt ein zwingender Gipfelpreisträger.Stefan Dabrock
Originaltitel | Santa Sangre (Italien/Mexiko 1989) |
Länge | 118 Minuten (Pal) |
Studio | Legend Films |
Regie | Alejandro Jodorowsky |
Darsteller | Axel Jodorowsky, Blanca Guerra, Guy Stockwell, u.a. |
Format | 1:1,85 (16:9) |
Ton | DD 5.1 Englisch, DD 2.0 Deutsch, Englisch |
Untertitel | Deutsch |
Extras | Audiokommentar von Alejandro Jodorowsky (Regie) und Allan Jones (Journalist), „La Constellation Jodorowsky”, Deleted Scene, Trailer, u.m. |
Preis | ca. 23 EUR |
Bewertung | sehr gut, technisch ausgezeichnet |