Die neapolitanische Camorra geht auf die im Jahre 1420 gegründete Bruderschaft „Confraternidad de la Garduña“ zurück, die kriminelle Machenschaften als lukratives Geschäft betrieb. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war sie in Neapel längst zu einem entscheidenden Machtfaktor geworden, der das Leben in den einzelnen Stadtvierteln bestimmte, eine Art Schattenregierung auf krimineller Basis. Zu dieser Zeit spielt Pasquale Squitieris „Die Rache der Camorra“. Nach dem mehrjährigen Aufenthalt in einer Erziehungsanstalt kehrt Nicola Bellizzi in das Viertel seiner Jugendzeit zurück. Er träumt von einer Karriere als Anwalt, kann sich als Habenichts aber nur über Wasser halten, indem er mit dem Straßenglücksspiel Morra ein bisschen Geld verdient. Da jedoch alles innerhalb Neapels durch die Camorra kontrolliert wird, benötigt er auch dafür eine Erlaubnis des örtlichen Viertelchefs, die er nicht hat. In Form des schmierigen Don Gaetano wird Bellizzi mit der Macht des organisierten Verbrechens konfrontiert. Er kann sich jedoch gegen Gaetano und dessen Leibwächter mit viel Mut behaupten. In einem später ausgefochtenen Kampf auf Leben und Tod zwischen ihm und Gaetano verdient sich Bellizzi den Respekt des Camorristi. Die daraus resultierende Freundschaft treibt Bellizzi schließlich in die Reihen des organisierten Verbrechens. Das ist seine Chance, endlich ein Anwalt zu werden. Aber die Konflikte zwischen Bellizzi und der ganz harten Linie der Camorra stehen bereits vor der Tür.
Pasquale Squitieri zeichnet auf eindrucksvolle Weise die Durchseuchung des neapolitanischen Lebens mit den Regeln der Camorra nach. Jede Tätigkeit, die in irgendeiner Form Auswirkungen auf das Zusammenleben hat, muss durch die Camorra abgesegnet werden. Das gilt für die Eröffnung eines Geschäftes ebenso wie für Bestrafungen eines Nebenbuhlers aus Eifersucht. Die Art und Weise wie Geschäfte getätigt werden unterliegt den Bestimmungen der Camorra, sie lässt Kinder zu Taschendieben ausbilden und verdient an allem mit. Für Nicola Bellizzi schwingt auf seinem Weg zum Anwalt angesichts solcher Umstände stets ein Gewissenskonflikt mit. Aus Verständnis für die schwierige soziale Lage großer Teile der Bevölkerung kann er sich mit der grundsätzlichen Organisation der Camorra identifizieren, die im chaotischen Neapel ein bedeutender Stabilitätsfaktor ist. Immer wieder stößt er aber an die Grenzen dessen, was er akzeptieren kann. Zuletzt beschützt er einen Verräter, der in seine Kanzlei geflüchtet ist. Das Gesetz des organisierten Verbrechens und das Gesetz des Staates prallen hier aufeinander, ohne das ein Ausgleich noch möglich ist. Die Frage des Rechts bleibt ambivalent.
Franco Nero spielt Bellizzi jenseits seiner stürmischen Anwaltsplädoyers mit zurückhaltender Intensität. Es sind vor allem Neros Augen, die den Zweifel Bellizzis ausdrücken, ob er sich auf dem richtigen Weg befindet. Seine Freundschaft zu Don Gaetano sowie der spätere Eintritt in die Camorra wird ihn stets beschäftigen. Sein ausgeprägtes Ehrgefühl, das er auch bei Gaetano verspürt, lässt ihn einen gewissen Respekt für die Camorra empfinden. Hier zeichnet Squitieri eine spezielle, milieutypische Sichtweise nach, die ihren Ursprung eher in einer mythologischen Verklärung haben dürfte. Bellizzi und auch Gaetano leben einen Ehrenkodex aus, der ganz besonderen Regeln folgt. Das stabilisiert ihre Freundschaft auch in schwierigen Situationen. So verleiht Squitieri der Figur des Don Gaetano eine Ambivalenz, die er als ansonsten schmierige Figur nicht hätte.
Fabio Testi gelingt eine ausgezeichnete Darstellung des Camorristi, indem er zwischen arrogantem Genuss seiner Machtposition und ehrlich freundschaftlichen Gefühlen changiert. Schon sein geschwungener Bart zeichnet ihn in Verbindung mit dem geleckten Äußeren sowie seinen gönnerhaften Reden als unangenehm eitlen Geck aus. Dass die Figur weitere Konturen bekommt, ist ebenso eine Stärke des Films, wie die Darstellung fragwürdiger Polizeimethoden, die durch noch fragwürdigere politische Entscheidungen gegen einzelne Polizeivertreter überflügelt werden. Dadurch erscheint die Camorra aber keineswegs sympathischer. Ihr langer, oft gnadenloser Arm, der Tötungen nicht scheut, besitzt jenseits der speziellen Freundschaft zwischen Bellizzi und Gaetano eine eigene Präsenz. So ergibt sich insgesamt ein bitteres Bild des neapolitanischen Lebens, das zwischen dem organisierten Verbrechen und den wenig zimperlichen Handlungsweisen in Polizeiapparat und Politik kaum noch atmen kann. In der eindrucksvollen Schlusssequenz transferiert Squitieri das vergangene Geschehen schließlich in die damalige Gegenwart. Es wäre problemlos möglich, diese Sequenz bis heute zu verlängern.
Bildqualität
Das Bild weist nur wenige Dreckspuren und Defekte auf. Die Schärfe schwankt zwischen guten Passagen und solchen, in denen das Bild etwas matschige Konturen aufweist. Auch die Detailschärfe ist schwankend. Die Farben haben einen bräunlichen Charakter, der den historischen Kontext verdeutlichen soll. Inwieweit sie ursprünglich kräftiger waren, ist aus heutiger Sicht kaum noch zu beurteilen. Der Kontrast ist teilweise ein bisschen steil. Immer wieder ist das Bild kompressionsbedingt unruhig, in den Vordergrund spielt sich das aber nicht.Tonqualität
Die italienische Mono-Tonspur ist dumpfer als die deutsche Synchronisation, wirkt dafür aber deutlich besser ins Handlungsgeschehen eingebettet. Die Klangfarbe weist leichte Verzerrungen auf, ein Hintergrundrauschen ist vorhanden. Der deutsche Ton ist weitgehend verzerrungsfrei und ohne Hintergrundrauschen, wirkt aber weniger natürlich in das Handlungsgeschehen eingebettet.Extras
In dem etwa 15minütigen Interview mit Claudia Cardinale unter dem Titel „Il Miele E Il Rasoio“ erinnert sich die Schauspielerin an ein paar Begebenheiten während des Drehs, äußert sich über Pasquale Squitieris Filme und ordnet „Die Rache der Camorra“ aus ihrer Sicht ein. Kein überragendes, aber ein recht unterhaltsames Interview. Der französische Kinotrailer, eine Bildergalerie sowie ein 8seitiges Booklet – davon zweieinhalb Seiten Text -, in dem Christian Kessler ein bisschen Faktenklauberei betreibt, ohne sich dem Film tatsächlich zu nähern.Fazit
„Die Rache der Camorra“ zeichnet ein vielschichtiges Bild des neapolitanischen Lebens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mythologisch verklärte Ehrbegriffe spielen dabei ebenso eine Rolle, wie das unheilige Geflecht aus gnadenloser Kriminalität, politischem Opportunismus und fragwürdigen Polizeimethoden. Daraus ergibt sich ein sehenswertes Drama mit blendend aufgelegten Darstellern. Technisch ist die DVD angesichts des Filmalters gut.Stefan Dabrock
Originaltitel | I Guappi (Italien 1974) |
Länge | 126 Minuten (Pal) |
Studio | Koch Media |
Regie | Pasquale Squitieri |
Darsteller | Franco Nero, Fabio Testi, Claudia Cardinale, Lina Polito, Raymond Pellegrin, u.a. |
Format | 1:1,85 (16:9) |
Ton | DD 2.0 Mono Deutsch, Italienisch |
Untertitel | Deutsch |
Extras | Interview mit Claudia Cardinale, Bildergalerie, Trailer, 8seitiges Booklet |
Preis | ca. 14 EUR |
Bewertung | gut, technisch angesichts des Filmalters gut |