Neben den bekannten Italowestern „Eine Pistole für Ringo“ („Una pistola per Ringo“, 1965) und „Ringo kommt zurück“ (Il Ritorno di Ringo“, 1965) hat der italienische Regisseur Duccio Tessari unter anderem auch so sehenswerte Gialli wie „Das Grauen kam aus dem Nebel“ („La Morte risale a ieri sera“, 1970), „Blutspur im Park“ („Una Farfalla con le ali insanguinate“, 1971) und eben den vorliegenden „Der Mann ohne Gedächtnis“ („L' Uomo senza memoria“, 1974) gedreht.
Darin spielt Senta Berger eine Ehefrau, die sich nach einschneidenden Erlebnissen mit ihrem Mann nach Italien zurück gezogen hat. Die dennoch vorhandene Hoffnung, ihr Mann würde dorthin nachreisen, hat sich innerhalb eines Jahres jedoch immer noch nicht erfüllt. Inzwischen arbeitet sie als Schwimmlehrerin und hat sich mit dem Sportarzt angefreundet. Ihr Mann leidet seit einem Unfall, der sich bereits vor acht Monaten in London ereignet hat, an Gedächtnisverlust. Als er ein Telegramm seiner Frau erhält, die ihn in Italien erwartet, macht er sich auf den Weg, um seine Identität wiederzufinden. In Italien dauert es jedoch nicht lange, bis erste zwielichtige Gestalten auftauchen, die offensichtlich etwas mit seiner Vergangenheit zu tun haben. Sie bedrohen nicht nur ihn selbst, sondern dringen auch in das Haus seiner Frau ein, um es zu durchsuchen. Der Schlüssel zu den Ereignissen liegt in der verschütteten Erinnerung.
Für die Erbsenzähler sei gleich vorangeschickt, dass natürlich ein wenig unklar bleibt, warum die von Senta Berger verkörperte Ehefrau auch nach mehreren Einbrüchen in ihr Haus keine Schutzmaßnahmen ergreift. Wer sich folglich lieber mit solchen Kleinigkeiten aufhält, anstatt die Chance auf den Genuss eines guten Films zu ergreifen, der kann auf den Film verzichten. Dabei entgeht demjenigen aber die geschmeidige Inszenierung des Films, die der Geschichte dank einer schönen Schnitttechnik zu größerer Tiefe verhilft. Von den Londoner Ereignissen zu Beginn des Films schneidet Tessari direkt auf die formatfüllende Ansicht einer Pistole, welche im nächsten Moment los geht. Das nächste Bild offenbart, dass es sich nur um eine Startpistole handelt, die in der Schwimmhalle eingesetzt wird. Tessari gelingt es, durch diese und ähnlich gelagerte Montagen dem Film einen Blick der Unsicherheit zu verleihen. Die visuelle Warnehmung wird zu einem unverlässlichen Faktor, der die scheinbare Überlegenheit derjenigen ohne Gedächtnisverlust gegenüber dem Ehemann relativiert. So steht nicht nur die eigene Identität des Ehemanns in Frage, sondern auch die Identität der Umgebung, des Milieus bleibt ein unsicheres Ergebnis der jeweils individuellen Interpretation. Das ist innerhalb der Handlungskonstruktion besonders knifflig, weil dem an Gedächtnisverlust leidenden Ehemann vor allem auch seine Augen zur Verfügung stehen, um sich anhand bestimmter Reize erinnern zu können. So gelingt es Tessari, ein miteinander verwobenes Spiel aus unsicherer Wahrnehmung und ebenso unsicherer Erinnerung zu treiben, das jeder Szene ein zusätzliches Spannungspotential verleiht. Gleichzeitig reflektiert er auf geschickte Weise über das Wesen der Identität und stellt angesichts des persönlichkeitsveränderten Ehemanns die Frage nach dem Ursprung krimineller Energie.
Jenseits solcher Überlegungen hat der Schnitt auf die Startpistole aber noch eine gänzlich andere Funktion. Die Pistole erweist sich zwar letztlich als harmloses Werkstück, aber sie symbolisiert durch ihre Ähnlichkeit zu echten Waffen den Einbruch der Gewalt in eine friedliche Alltagsrealität, die das anfängliche Szenario der malerisch am Meer gelegenen Stadt noch beschwört. Tessari wird im Laufe des Films die Schraube der Gewalt immer weiter anziehen, während sich das Ehepaar wieder neu entdecken muss. Daraus entsteht eine faszinierende Dynamik der Nähe angesichts völlig unsichere Verhältnisse, die Identität letztlich als fortlaufenden Prozess beschreibt, der zu immer neuen Zuständen führt.
Bildqualität
Das Bild ist weitgehend sauber, nur hier und da sind Dreckspuren vorhanden, Defekte gibt es so gut wie nicht. Die Schärfe des Bildes ist nur angenehm, da es die Konturen stets recht weich aussehen. Die Farben sind leicht ausgebleicht, machen aber im Wesentlichen eine gute Figur und vermögen die Atmosphäre des Films gut wiederzugeben. Der Kontrast ist in Ordnung. Leichte Blockbildung und stehende Rauschmuster sind an manchen Stellen zu sehen. Insgesamt ist die Bildqualität aber angesichts des Filmalters gut geworden.Tonqualität
Bei beiden Tonspuren treten keine nennenswerten Verzerrungen auf, so dass die Dialoge jeweils gut verständlich sind. Während die deutsche Synchronisation aber eine sehr klar Klangfarbe hat, ist der Originalton leider recht dumpf ausgefallen. Dazu sind leichte Verzerrungen bei der Musik hörbar.Extras
In dem etwa 20minütigen Beitrag „Labyrinthus“ entfaltet Darsteller Luc Merenda einen bunten Erinnerungsbilderbogen an den Drehort und seine Darstellerkollegen. Daneben findet er noch ein paar Worte zu Duccio Tessari, die damalige italienische Filmindustrie und ordnet sich selbst innerhalb der Filmbranche ein. Zwischen den einzelnen Interviewantworten sind Filmausschnitte des vorliegenden Films zu sehen. Insgesamt recht interessant, ohne besondere Qualitäten zu entfalten. Ein Trailer sowie eine Bildergalerie runden das Bonusmaterial ab.Fazit
„Der Mann ohne Gedächtnis“ überzeugt als spannender Giallo, der seine rätselartige Geschichte für eine Reflektion über Wahrnehmung und Identität nutzt. Technisch ist die DVD angesichts des Filmalters in Ordnung.Stefan Dabrock
Originaltitel | L' Uomo senza memoria (Italien 1974) |
Länge | 90 Minuten (Pal) |
Studio | Koch Media |
Regie | Duccio Tessari |
Darsteller | Senta Berger, Luc Merenda, Umberto Orsini, Anita Strindberg, u.a. |
Format | 1:1,85 (16:9) |
Ton | DD 2.0 Mono Deutsch, Italienisch |
Untertitel | Deutsch |
Extras | Featurette, Bildergalerie |
Preis | ca. 14 EUR |
Bewertung | gut, technisch angesichts des Filmalters ordentlich |