Terror im Sonnenglanz

Ein Kind zu töten

Für eine herausragende DVD-Edition (sehr gute Bildqualität und überzeugendes Bonusmaterial) wird dieser DVD der Gipfel verliehen.

 

Ein Kind zu tötenAls vor einigen Jahren der Film „Tödliche Befehle aus dem All“ auf der Leinwand eines studentischen Filmklubs erstrahlte, gehörte das zu den eindrücklichsten Seherfahrungen im Kino. Der Film entfaltete seine Wirkung, obwohl nur die gekürzte deutsche Fassung gezeigt werden konnte, die über eine zusätzliche Erklärung versucht, das Geschehen im Sinne eines bizarren Sciene-Fiction-Konstrukts zu rationalisieren. Seine volle Qualität entwickelt das Werk unter dem Titel „Ein Kind zu töten“ nun wieder auf der DVD des Labels Bildstörung, die den Film in ungeschnittener Form inklusive der Eingangssequenz sowie ohne die simpel rationalisierende Science-Fiction-Erklärung beinhaltet.

Der Schwarzweiß-Prolog zeigt dokumentarisches Material verschiedener Gräueltaten des 20. Jahrhunderts, deren größte Opfergruppe Kinder gewesen sind. Das letzte Schwarzweiß-Bild ist ein Strandszenario, das irritierender Weise im völligen Kontrast zu den vorherigen Bildern steht. Als die Farbe aufgeblendet wird, ist klar, dass die Strandidylle die Gegenwart der Handlung etabliert. Ein britisches Pärchen kommen mit einem Reisebus in dem spanischen Küstenstädtchen an, zu dem der Strand gehört. Ihr Ziel ist die vorgelagerte Insel Almanzora, wo sie einen ruhigen Urlaub verbringen wollen, denn die Frau ist schwanger. Nachdem sie am nächsten Tag mit einem gemieteten Motorboot selbst zur Insel gefahren sind, bietet sich ihnen ein Szenario gespenstischer Ruhe. Das Hauptdorf der Insel Almanzora wirkt fast völlig ausgestorben, nur ein paar wenig gesprächige Kinder sind zu sehen. Als das Paar Zeuge einer brutalen Mordtat wird, wissen sie, dass ihr Leben in Gefahr ist. Verzweifelt versuchen sie, dem Tod zu entrinnen.

Die historische Eingangssequenz bildet wie im sehr guten Booklet-Text völlig zurecht beschrieben den gesellschaftskritischen Rahmen zur Interpretation des nachfolgenden Geschehens, ohne dass eine direkte Rationalisierung stattfindet. Sie ist deswegen unabdingbarer Bestandteil der filmischenEin Kind zu töten Gesamtkonzeption, die den Wert Serradors Antiutopie erst ausmacht. Das spannende Horrorgeschehen auf Alamanzora, in dessen Verlauf das britische Pärchen ums nackte Überleben kämpfen muss, steht in einem gedanklichen Zusammenhang zu den historischen Gräuel, aber nicht in einem direkten kausalen Zusammenhang. Als Überbau schwingt die historische Gewalt stets mahnend mit, sobald der Terror seine Zügel angezogen hat. Das verleiht der Inszenierung neben der permanenten Anspannungssituation, die auf grobe Effekte zugunsten einer oftmals gespenstischen Ruhe verzichtet, eine verstörende Wirkung. Das nahezu verlassene Hauptdorf Alamanzoras strahlt selbst im grellen Sonnenglanz eine fast surreale Bedrohung aus, da das absurde Fehlen normalen Lebens vom Grauen kündet, das hier Einzug gehalten hat.

Serrador steigert die atmosphärische Wirkung durch den geschickten Einsatz irritierender Mittel. Das plötzliche Telefonklingeln in der Lobby der einzigen Pension, wirkt so schrill wie ein gellender Hilfeschrei. Und tatsächlich hören die britischen Touristen nach dem Abheben des Hörers eine verzweifelte Stimme in einer ihnen fremden Sprache. Sie wissen aber nicht Ein Kind zu tötenwoher der Anruf kommt und warum die Person ganz offensichtlich Angst um ihr Leben hat. Denn zu diesem Zeitpunkt ist den beiden noch nicht klar, das auch sie bedroht sind. Das Unfassbare wird erst später über sie hereinbrechen. Dabei nutzt der spanische Regisseur starke, symbolisch aufgeladene Bilder, wenn beispielsweise nach einer Tötung, die moralische Fragen über ihre Rechtfertigung aufwirft, das rote Blut langsam über die weiße Mauer herabläuft. Nicht nur der Täter hat dadurch seine Unschuld verloren, Serrador stellt durch den Bildausschnitt, der schließlich nur noch Blut und Wand einfängt, den Zusammenhang zur gesamten Situation her. Die Gesellschaft selbst befindet sich im Zustand eines permanenten Sündenfalls, der immer wieder neue, unschuldige Opfer produziert. Diese Krankheit drückt sich im Unfassbaren, im Erschreckenden aus, für das es keine rationale Erklärung mehr gibt. Unnötig zu erwähnen, dass Serrador in seiner Antiutopie kein Heilmittel bereit hält.

Bildqualität

Das Bild der DVD weist nahezu keine Verschmutzungen oder Defekte auf, da hier eine sehr gute Arbeit an den Tag gelegt wurde. Die Schärfe ist erstaunlich gut, so dass sich die Konturen klar voneinander abheben. Nur ganz selten wirkt die Szenerie leicht weich. Die Farbwiedergabe bildet das helle, aus Weiß- und Brauntönen bestehende Inselszenario gut ab. Nennenswerte Rauschmuster treten nicht in Erscheinung.

Tonqualität

Die Tonspuren fallen gegenüber der Bildqualität naturgemäß etwas schwächer aus, da es sich um alte Monospuren handelt. Die Unterschiede der drei Sprachversionen sind relativ gering. Die deutsche Synchronisation klingt recht klar mit leichten Verzerrungen. Die Dialoge sind gut verständlich. Letzteres gilt auch für die beiden anderen Tonspuren, die etwas weniger natürlich ausfallen.

Extras

Der vielleicht schönste Teil des Bonusmaterials ist die zusätzliche CD mit der Filmmusik des Komponisten Waldo de los Ríos, die aus einer faszinierenden Mischung experimentelle Stücke sowie runder Popmeldien besteht. Auf der Film-DVD ist das weitere Bonusmaerial enthalten.

Das etwa neunminütige Interview mit Narciso Ibáñez Serrador (Regie) beinhaltet kurze Ausführungen Serradors zur Drehbuchentwicklung im Verhältnis zu Juan José Plans' Roman "El juego de los niños", der das gleiche Grundszenario wie Serradors Film beinhaltet. Darüber hinaus äußert sich Serrador kurz zu seiner Intention, den Film zu drehen.

Das etwa 16minütige Interview mit Kameramann José Luis Alcaine, der auch einige Filme des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar fotografierte („La Mala educación“, 2004), hält neben einer sehr amüsanten Anekdote vom Dreh Informationen über die Schwierigkeit bereit, das unterschiedliche Licht der verschiedenen Drehorte gleich erscheinen zu lassen. Ein interessantes Interview, dass auch auf die visuelle Konzeption des Films eingeht. Zwei Bildergalerien und der Trailer runden das Zusatzmaterial auf der DVD ab.

Das 16seitige Booklet mit einem ausführlichen Text des Autors Michael Schleeh liefert eine gute Analyse zur Thematik des Films, die er auch mit Verweisen auf weitere Werke der Filmgeschichte untermauert.

Fazit

„Ein Kind zu töten“ zählt zu den relativ unbekannten Meisterwerken des intelligenten Horrorkinos. Die ausgezeichnet inszenierte Spannungsatmosphäre trifft auf einen gesellschaftskritischen Überbau, der das Geschehen mit einer bedrückenden Bedeutungsebene auflädt. Technisch ist die DVD gut, hier wurde ein alter Film so ausgezeichnet aufgearbeitet und mit lohnendem Bonusmaterial versehen, dass dies einen Gipfel verdient.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel ¿Quién puede matar a un niño? (Spanien 1976)
Länge 106 Minuten (Pal)
Studio Bildstörung
Regie Narciso Ibáñez Serrador
Darsteller Lewis Fiander, Prunella Ransome, Antonio Iranzo, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DD 2.0 Mono Deutsch, Englisch/Spanisch, Spanisch
Untertitel Deutsch
Extras Bonus-CD mit der Filmmusik, Interview mit Narciso Ibáñez Serrador (Regie), u.m.
Preis ca. 21 EUR
Bewertung ausgezeichnet, technisch gut