Krieg und Neoroiden

Casshern

Die Verschmelzung von computergenerierten Phantasiewelten und realen Darstellern birgt die Gefahr, dass beide Teile nebeneinander existieren, ohne dass eine Einheit entsteht. "Casshern" exerziert die Verschmelzung bis zum Exzess. Jede Einstellung besitzt weite Teile aus dem Computer, so dass eine überbordende Welt lebendig wird, die als perfekte Synthese aus Anime und Realfilm funktionieren soll. Der Ansatz ergibt viel Sinn, handelt es sich bei "Casshern" doch um eine Mangaverfilmung. Die moderne Technik ermöglicht nun einen Bildersturm, der die Wucht der gezeichneten Vorlage einzufangen vermag. Erzählt wird die Geschichte eines Forschungsexperiments, das Dr. Azuma in einer zukünftigen Welt betreibt, die gerade einen grausamen 50jährigen Krieg hinter sich hat. Als Folge der brutalen Ereignisse sind viele Menschen unheilbar krank. Dr. Azuma versucht mit Hilfe seiner Neozellentheorie, die Heilung der Krankheiten zu ermöglichen. Dabei geht es um Zellen, die sich in beliebige andere Körperzellen verwandeln können. Auf diese Weise wäre die Nachbildung eines jeden Organs oder Körperteils möglich. Aus Geldmangel lässt er sich auf einen Handel mit dem Militär ein, das seine weitere Forschung finanziert, weil dadurch gefallene Soldaten in kürzester Zeit ersetzt werden könnten. Das käme der Armee gut gelegen, da in der mysteriösen Zone 7 immer noch aufständische Kräfte Widerstand leisten. Ein unvorhergesehenes Ereignis verleiht der Forschung jedoch eine andere Wendung, als der Zellenlösung plötzlich neue Menschen entsteigen, die aus Angst von den übrigen Menschen brutal gejagt werden. Einer kleinen Gruppe gelingt jedoch die Flucht in abgelegne Regionen. Hier erholen sich die Neoroiden, wie sie fortan genannt werden, und erklären den Menschen den Krieg.
"Casshern" ist ein völlig überladenes Epos, das gleichermaßen schwierige Themen wie Wissenschaftsethik schultert, wenn es um Dr. Azumas Experiment und dessen Folgen geht, herrenmenschenideologisches Gedankengut diskutiert und über die Konflikte in Dr. Azumas Familie das menschliche Drama sucht. Die größte Stärke des Films ist dabei die Konfliktentwicklung zwischen den Neoroiden und den Menschen, da beide Parteien mit gleicher unerbittlicher Härte ihre persönliche Überlegenheit in kriegerischen Auseinandersetzungen beweisen wollen. Hier stehen sich zwei Pole gegenüber, deren ideologisches Fundament identisch ist. "Casshern" nutzt die Herrenmenschenattitüde zu stimmigen Bildern diktatorischer Gleichschaltung. Horizontfüllende Armeen donnern im Gleichschritt zerstörerisch durch das Land; der Führer der Neorodiden pflegt eine Selbstinszenierung, die nicht zufällig an den Nationalsozialismus erinnert - das schwarz-weiß-rote Zeichen weist Ähnlichkeiten zum Hakenkreuz auf - und die politische Klasse der Menschen versucht in kleinen Machtzirkeln die Staatsgeschäfte zu lenken. Zwischen den beiden Parteien steht Casshern, der im Krieg gefallene und durch die Zellenlösung wieder zum Leben erweckte Sohn Dr. Azumas. Als messianischer Heilsbringer soll er die Welt vor dem Untergang retten. Mit gigantischem Pathos stilisiert das Epos seine Geschichte zu einem pazifistischen Manifest empor, da der Kampf nur in die Vernichtung führen kann. Dieses zentrale Anliegen spiegelt sich auch in den familiären Konflikten wieder. Sowohl das wissenschaftliche Experiment wie auch dessen Folgen beeinflusst die Geschichte um Dr. Azumas Familie, deren Beziehungen durch unterschiedliche ideologische Ansichten auseinander zu brechen drohen. Da "Casshern" trotz seiner beachtlichen Länge von 142 Minuten seine zahlreichen Charaktere sowie deren Hintergründe und Beziehungen untereinander nur sehr kurz einführen kann, entfaltet sich das emotionale Potential des menschlichen Dramas nicht vollständig. Dennoch überzeugt der Film durch seine bildgewaltige und vielschichtige Erzählung.

Bildqualität

Die Vorlage ist blitzsauber und weist keinerlei Bilddefekte oder Dreckspuren auf, wie es sich für einen aktuellen Film gehört. Die Schärfe fällt unterschiedlich aus. Meist ist das Bild ausgezeichnet und detailreich, zwischendurch gesellen sich aber kurze Sequenzen, in denen das Bild matschig wirkt (hier sind natürlich nicht die 8mm-Szenen gemeint). Unter Umständen ist das auf die starke Bildbearbeitung in der Filmproduktion zurückzuführen. Die Farbwiedergabe ist ausgezeichnet, der Kontrast leistet sich ebenfalls keine Schwächen. Rauschmuster sind nicht zu finden.

Tonqualität

Der Ton bietet eine krachende Geräuschkulisse, die von Anfang an echtes Raumgefühl entstehen lässt. Hier werden alle Boxen ausgenutzt, so dass das Epos seine volle Wirkung entfalten kann. Einziges Manko der wuchtigen Abmischung ist, dass hier und da die Umgebungsgeräusche gegenüber den Dialogen ein wenig zu laut ertönen. Auch die Musik erschalt mit eindrucksvoller Dynamik, so dass man sehr zufrieden sein kann.

Extras

Die Interviews mit den wichtigsten Darstellern entstammen alle verschiedenen Auftritten aus der Promotionphase. Aus diesem Grund bietet der rund halbstündige Block nur wenige Interessante Informationen. Meistens erschöpfen sich die Aussagen in Lobhudelei. Einzig die kurzen Ausführungen eines jeden Darstellers und einer jeden Darstellerin zur persönlichen Interpretation des Filmgeschehens sind durchaus hörenswert.
Hinter 8mm-Footage (ca. 12 Minuten) verbergen sich alle auf 8mm-Material gedrehten Szenen, die teilweise als Erinnerungssequenzen in den fertigen Film montiert wurden, meistenteils jedoch nicht enthalten sind. Der Kommentar des Regisseurs ordnet sie in den Handlungskontext ein. Sie funktionieren perfekt als zusätzliche Informationen zu den Charakteren und offenbaren, welche emotionalen Informationen dem Film zu einer größeren Dichte der menschlichen Beziehungen hätten verhelfen können.
Die 11 Deleted Scenes werden angenehmerweise durch Regisseur Kazuaki Kiriya kommentiert. Dabei liefert er teilweise eine Einordnung der Szene in das Geschehen des Films, teilweise erläutert er, warum die Szene der Schere zum Opfer gefallen ist. Einige der Szenen sind sehr sehenswert und hätten weitere emotionale I-Tüpfelchen setzen können, die "Casshern" gut getan hätten. Darunter fällt vor allem eine Szene zwischen Luna und ihrem Vater, die dann aus Tempogründen heraus gefallen ist. Andere Szenen sind schlicht überflüssig und dankenswerterweise nicht enthalten. Zusammen mit dem Kommentar eine sehr gute Bonussektion.
Drei Bildergalerien und der Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

Auch wenn "Casshern" das emotionale Potential der Geschichte nicht vollkommen ausschöpft, gehört er als visuell eindrucksvolles Epos mit vielschichtigen Themen zu den besten aktuellen japanischen Filmen. Technisch ist die DVD sehr gut, das Bonusmaterial gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Casshern (Japan 2004)
Länge 142 Minuten (Pal)
Studio I-on new media im Vertrieb der Splendid
Regie Kazuaki Kiriya
Darsteller Yusuke Iseya, Kumiko Aso, Akira Terao, Kanako Higuchi, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DTS 5.1 Deutsch; DD 6.1 Deutsch, Japanisch
Untertitel Deutsch
Extras Interviews, 8mm-Material, Trailer, u.m.
Preis ca. 18 EUR
Bewertung gut, technisch sehr gut