Schiffspassage des Schicksals

Cassandras Traum

Cassandras TraumWie in einer griechischen Tragödie vermögen die Ereignisse in Woody Allens „Cassandras Traum“ nur im Detail zu überraschen. Die kristallklare Schönheit der Konstruktion macht den Reiz der bitteren Schuldtragödie aus. Die beiden Brüder Terry und Ian entstammen der Londoner Arbeiterklasse. Während Ian davon träumt, mit Hotelinvestments im sonnigen Kalifornien aufzusteigen, um dem Schicksal zu entgehen, das Restaurant des Vaters weiterzuführen, arbeitet Terry in einer Werkstatt für Luxusautos, trinkt gerne einen über den Durst und hat ein Glücksspielproblem. Wie bei den meisten sind es die wenigen Erfolge, die Terry weitermachen lassen. Eine gewonnene Außenseiterwette ermöglicht es ihm sogar, das kleine Segelboot zu kaufen, auf das die beiden Brüder ein Auge geworfen haben. Aber das Glück hält nicht an, so dass Terry auf einmal mit einer gehörigen Summe Geldes bei fiesen Kredithaien in der Kreide steht. Da kommt Onkel Howard gerade zur rechten Zeit zu Besuch. Der Unternehmer hat sich ein kleines Vermögen erarbeitet und könnte aus Familienloyalität den beiden Brüdern unter die Arme greifen. Howard sitzt allerdings selbst in der Klemme, da ein unbestechlicher Buchhalter damit droht, die Finanztricks des Unternehmers an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn die Brüder den lästigen Feind töten würden, dann könnte das Geld aus Howards prall gefülltem Säckel die Sorgen der Beiden hinweg spülen.

Wenn undurchsichtige Investments im regenfreien Kalifornien oder Außenseiterwetten den Weg zum Erfolg ebnen sollen, dann liegen tragische Ereignisse in der wolkenverhangenen Londoner Luft. Schon die Art und Weise mit der Ian im Anzug gewandet den Wirtschaftszampano gibt, um den Geruch der Arbeiterklasse abzuwaschen, obwohl er bislang keinerlei Erfolge Cassandras Traum vorzuweisen hat, lässt nichts Gutes erahnen. Er unterliegt ebenso einer grandiosen Selbsttäuschung wie sein glücksspielender Bruder Terry, nur sind die Felder, auf denen sie sich etwas vormachen, verschoben. Woody Allens Augenmerk liegt auf der psychologischen Dynamik, mit der die irrealen Wunschtraumwelten auf die beiden Brüder einwirken. Sie sind weder in der Lage das zu sehen, was ungebremst auf sie zu kommt, noch haben sie ein Auge für die Werte der Realität, die sie umgibt. Ian glaubt, ständig vor seiner Schauspielerfreundin angeben zu müssen, um sie zu halten, und Terry nimmt seine etwas naive aber zu ihm stehende Frau kaum war. So unterschiedlich sich die Brüder auch geben, sie sind zwei Ausprägungen desselben Selbstbetrugs, den Allen auf die beiden Figuren aufgeteilt hat.

Es gehört zur Schönheit der Konstruktion, dass sie miteinander in Kontakt treten können. Zweifel (Terry) und gespielte Selbstsicherheit (Ian) sind nicht auf die zerrissene Psyche einer Figur konzentriert, die zu zerbrechen droht, der Bruch ist bei Allen längst geschehen. Mit dämonischem Eigenleben behaken sich die beiden Ausprägungen in Form der Brüder. Ihre Interaktion bringt eine Dynamik in das Geschehen, die mit einer Figur alleine nicht erreichbar wäre. Vor allem bieten sie dem großen Verführer Howard, den Tom Wilkinson mit widerlicher Manipulierkraft verkörpert, die größere Angriffsfläche. Denn beim Streit mit einem anderen Menschen, gewinnt die eigene, wenn auch tönerne Position an Dynamik, wenn sie Teil einer Selbstüberschätzung ist, die labile Position büßt in der selben Situation an Kraft ein. Da Ian und Terry aber nur zwei Ausprägungen derselben Quelle sind, muss das Gefälle aus gespielter Kaltschnäuzigkeit gegenüber dem Mord auf der einen Seite und nagenden Schuldgefühlen auf der andere Seite wieder ausgeglichen werden. Die kraftvolle Dynamik nimmt ihren tragischen Lauf, den die Figuren nicht aufhalten können, weil sie mehr mit ihren Wunschprojektionen als mit der Realität beschäftigt sind.

Bildqualität

Cassandras TraumDie Schärfe des relativ sauberen DVD-Bildes liegt in einem guten durchschnittlichen Bereich. Vor allem die Detailfreudigkeit könnte besser ausgeprägt sein, bei Totalen sowie Kamerabewegungen fällt die Schärfe gegenüber den übrigen Bildern ab. Die Farbwiedergabe ist hingegen sehr gut, so dass die Palette aus reduzierten, tristen Szenerien und farbenfrohen Bildern gut zur Geltung kommt. Der Kontrast sorgt für ein plastisches Bild. Die leichte Bildunruhe stört ebenso wenig wie das leichte Hintergrundrauschen.

Tonqualität

Die Dialoge sind in beiden Sprachfassungen klar und verständlich, störendes Rauschen gibt es nicht. Im Rahmen der Möglichkeiten eines Filmes mit wenigen Tonextravaganzen, wird die Bandbreite der vorderen Lautsprecher gut genutzt, um immer wieder atmosphärische Geräusche zu verteilen. Die dramatische Musik kommt kraftvoll zur Geltung.

Extras

Das Bonusmaterial besteht aus listenartigen Filmographien der wichtigsten Darsteller.

Fazit

„Cassandras Traum“ erzählt ein Drama um Schuld und geplatzte Wunschträume, deren Konstruktion durch eine klare Schönheit besticht. Die gegensätzlichen Brüder sind Teil ein und derselben komplexbeladenen Seele, die nicht innerhalb eines Menschen den Widerstreit austrägt, sondern über die beiden Brüder miteinander interagiert. Das verleiht dem Drama eine dynamische Wucht, da die beiden Charaktere den Konflikt viel offensichtlicher austragen können, als das im Inneren eines einzelnen Menschen möglich wäre. Technisch ist die DVD ordentlicher Durchschnitt.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Cassandra's Dream (USA 2007)
Länge 104 Minuten (Pal)
Studio Constantin
Regie Woody Allen
Darsteller Colin Farrell, Ewan McGregor, Tom Wilkinson, Hayley Atwell, Sally Hawkins, u.a.
Format 1:1,85 (16:9)
Ton DD 3.0 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Filmographien
Preis ca. 18 EUR
Bewertung gut, technisch ordentlicher Durchschnitt