Landleben in Belgien

Calvaire – Tortur des Wahnsinns

Wer schon einmal durch Belgien gefahren ist, der kann vielleicht nachvollziehen, dass die kleinen Orte, deren Häuser sich mit ihren grau-dunklen Fassaden an Hügel oder Waldränder ducken, dazu einladen, düstere Geheimnisse hinter dem Schwarz der Fensteröffnungen zu vermuten. Die einsamen Landschaften mit den wuchtigen Häusern liefern eine ideale Kulisse für Horrorfilme. Der Chanson-Sänger Marc Stevens, der nach einem Auftritt in einem Altersheim diverse sexuelle Angebote bekommt, ist froh, als er sich in seinem Bulli auf dem Weg Richtung Süden befindet. Er soll auf einer Weihnachtsgala auftreten, bei der auch einige Produzenten zu Gast sein werden. Stevens wittert die Chance auf einen Karriereschub. Umso unangenehmer ist die Autopanne, welche ihn mitten auf der Landstrasse in einem dunklen Wald ereilt. Ein kauziger Typ, der seine entlaufene Hündin Bella sucht, bringt Stevens zum Gasthof eines gewissen Bartel. Der Chanson-Sänger hofft auf eine ruhige Nacht und einen Mechaniker am nächsten Tag, der sein Auto wieder flott macht. Während ihm ersteres vergönnt ist, teilt ihm Bartel am nächsten Morgen mit, dass der Mechaniker leider unterwegs sei, aber später wieder in seiner Werkstatt eintreffe. Da er, Bartel, aber auch etwas von Motoren verstehe, könne er einen Blick darauf werfen. Als Bartel immer weitere Gründe zum Besten gibt, warum der Mechaniker nicht kommen kann, schwant Stevens, dass hier mehr lauert, als etwas verschrobene Typen. Die Geschichte um eine Figur, welche mit dem Auto den falschen Abzweig nimmt und in einem Horrorszenario landet, gehört zu dem archetypischen Konstellationen des modernen Horrorkinos. Fabrice du Welz nutzt dies jedoch für eine Reise, die weit tiefer in die Natur des Menschen hinein führt, als es ein einfacher Bedrohungs-und-Gegenschlag-Plot gemeinhin tut. Bereits die visuellen Begleitumstände führen Marc Stevens in eine Welt jenseits realistischer Darstellung. Während seiner Fahrt zieht langsam Nebel auf, es beginnt zu Regnen und die Nacht bricht herein, bis sich alles zu einer undurchdringlichen Dunkelheit verbindet. Die Bilder des Kameramanns Benoît Debie setzen die Naturphänomene so entrückt in Szene, dass der allegorische Bezug deutlich wird. Die Welt, die er kennt, hat Stevens hinter sich gelassen, sobald er bei Bartels Gasthaus eintrifft. Hier herrscht eine Gesellschaft, in der es keine Frauen gibt, die Bewohner sich aber nach weiblicher Wärme sehnen. Kälber und schließlich Stevens, in dem Bartel seine verschwundene Ehefrau Gloria zu entdecken glaubt, dienen als Ersatz. Aus dem emotionalen Ödland gibt es für den Sänger kein Entkommen. Bartel schreckt auch vor brutaler Gewalt nicht zurück, um sich sein Stück Wärme zur Weihnachtszeit zu erhalten. „Calvaire“ reflektiert die gewalttätige Kraft, die hinter menschlicher Sehnsucht steckt, um ein düsteres Bild zu zeichnen. Im emotionalen Ödland entfalten sich aus der Verzweiflung der Einsamkeit Kräfte der Illusion, die einerseits das Überleben der Bewohner sichern, andererseits die Leere niemals überwinden können, da sie selbst ohne Herzlichkeit und Wärme sind. Dass ausgerechnet ein tingelnder Chanson-Sänger, der mit seinen kitschigen Liedern als Händler vorgegaukelter Emotionen seine bescheidenen Erfolge feiert, in die Mühlen Bartels gerät, gehört zum schwarzhumorigen, leicht zynischen Grundton des Films.

Bildqualität

Das Bild weist keine Verschmutzungen oder Defekte auf, kommt bei der Schärfe aber nur in angenehme Regionen. Die ganze Szenerie wirkt häufig leicht verwaschen. Die reduzierte Farbpalette wurde sehr gut auf die DVD übertragen, so dass sich die gespenstische Atmosphäre voll entfalten kann. Stehende Rauschmuster sind teilweise recht auffällig zu sehen.

Tonqualität

Die 5.1-Kulisse reizt die Möglichkeiten der Anlage zwar nicht aus, liefert aber eine gute Verteilung des Tons auf den vorderen Boxen und bezieht in seltenen Fällen auch die hinteren Lautsprecher mit ein. Die Dialoge sind klar und verständlich, störendes Rauschen gibt es nicht.

Extras

Der deutsch untertitelte Audiokommentar von Fabrice du Welz (Regie) bleibt recht häufig auf beschreibender Ebene stehen. Teilweise äußert sich der Regisseur zu den Motiven des Films – unter anderem geht er auf das Thema der Grenzüberschreitung ein – und liefert dann ein paar interessante Anmerkungen zur filmischen Konstruktion. Insgesamt bleibt der Kommentar aber eher durchschnittlich. Das 27minütige Making Of besteht aus Interviewteilen mit dem Regisseur, zu denen Aufnahmen vom Set geschnitten werden. Hier ist Fabrice du Welz eher in seinem Element und breitet seine Gedankenwelt zur Thematik des Films, der Anlage der Rollen sowie der Schauspielerauswahl und der Inszenierung aus, so dass das Making Of wesentlich fruchtbarer ist, als der Audiokommentar. Lediglich die lange B-Roll-Sequenz einer Szene aus dem Finale besitzt nach Drehdurchläufen keinen Nährwert mehr. Der Trailer rundet das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Calvaire“ schickt einen Händler der Emotionen auf eine Reise in ein Land der Einsamkeit, in dem Begehrlichkeiten in gewalttätigen Ausbrüchen enden. Damit reflektiert Fabrice du Welz das Verhältnis zwischen Liebe, Begehren und Verzweiflung angesichts totaler Einsamkeit. Technisch ist die DVD durchschnittlich.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Calvaire (Belgien/Frankreich/Luxemburg) 2004)
Länge 88 Minuten (Pal)
Studio i-on new media im Vertrieb der Splendid
Regie Fabrice du Welz
Darsteller Laurent Lucas, Jackie Berroyer, Philippe Nahon, Brigitte Lahaie, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DD 5.1 Deutsch, Französisch
Untertitel Deutsch
Extras Audiokommentar von Fabrice du Welz (Regie), Trailer, u.m.
Preis ca. 18 EUR
Bewertung gut, technisch durchschnittlich