Der exakte Blick

Anamorph – Die Kunst zu töten

Anamorph – Die Kunst zu tötenBei einem Vortrag erläutert der Polizist Stan Aubray seine Sicht auf die polizeiliche Ermittlungsarbeit bei Serienkillermorden: „Keine voreiligen Rückschlüsse. Vermeiden Sie psychologisierende Spekulationen im Hinblick auf die Absichten des Mörders. Wir werden wahrscheinlich nie erfahren, warum er das getan hat. Vielleicht weiß er es selbst nicht“. Und nach ein paar weiteren Tatortfotos erklärt er: „Betrachten Sie die Abgrenzung des Tatorts als eine Art Rahmen und beschränken Sie ihre Analyse auf das, was sich darin befindet“. Aubrays Worte bilden eine Art Bauplan für „Anamorph“, da die Figur des Serienkillers jenseits seiner prominent ins Bild gerückten Mordarrangements keinen nennenswerten erzählerischen Raum erhält, und auch die Ermittlungsarbeit an keiner Stelle über das Entschlüsseln der Tatortszenerien hinaus geht. Befragungen von Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen der Opfer sucht man hier vergeblich.

Der Film legt den eindeutigen Schwerpunkt auf das Präsentieren der Tatorte sowie auf die Hauptfigur des Polizisten Stan Aubray. Alle anderen Details – wie die Nebenfiguren - dienen nur dazu, der Haupterzählung einen Rahmen zu geben. Aubray hatte seinerzeit die Ermittlungen gegen einen „Onkel Eddie“ genannten Serienkilller durchgeführt. Nachdem ein Verdächtiger erschossen wurde, fanden keine weiteren Morde nach der Onkel-Eddie-Methode statt, so dass die Polizei die Ermittlungen einstellte. Aubry wurde befördert. Er hat sich jedoch nie vollständig davon erholt, dass er eines der Opfer kannte, aber trotz der drohenden Gefahr nicht retten konnte. Eine neue Mordserie nach der alten Handschrift ruft Aubray wieder auf den Plan. Handelt es sich um Onkel Eddie oder einen Nachahmer?

Mit exaktem Blick widmet sich der Polizist den Tatorten, an denen der Mörder mit Hilfe der Leichenteile Bilder nachstellt. Aubray ist ein Zwangscharakter, für den alles seine Ordnung haben muss. Seinen Supermarkteinkauf richtet er geometrisch exakt auf dem Laufband aus. Diese Deformation versetzt ihn zwar in den Stand, den wohl konstruierten Tatortarrangements ihre Logik zu entlocken, weil er mit seinem zwanghaften Ordnungswillen eine tatsächlich Anamorph – Die Kunst zu töten vorhandene Ordnung schließlich zu entdecken vermag, aber er besitzt nicht die menschliche Intuition, um seine Schlüsse für Ermittlungen jenseits der reinen Ordnung zu nutzen. Deswegen arbeitet er als Einzelgänger ohne besondere soziale Kontakte zu seinen Kollegen. Aubray und das Team sind keine Partner. Das nimmt im Verlaufe des Films immer stärker tragische Züge an, weil man spürt, dass der Killer Aubrays intellektuelle Fähigkeiten reizt, um ihn in die Falle zu locken. Der letzte Rest emotionaler Energie, den der Polizist noch in kurzen Gesprächsfetzen mit einer jungen Frau offenbart, droht ihm abhanden zu kommen. Denn obwohl Aubray gerade am emotionalen Mangel krankt, führt das Scheitern, mit rein logischen Mitteln den letzten Schlüsseln in die Hände zu bekommen, zu einem weiteren Rückzug ins Logische. Denn das ist das einzig eindeutig Fassbare, was ihm bleibt. Deswegen klammert er sich daran fest. „Anamorph“ gewinnt daraus die tragische Dimension eines mit besonderen Fähigkeiten ausgestatteten Charakters, der seinem Ziel immer näher kommt, es aber möglicherweise nicht erreicht. Dabei wird klar, dass der exakte Blick für die Polizeiarbeit natürlich essentiell ist.

In Anlehnung an die anamorphotische Kunst sind in den Tatortarrangements Hinweise versteckt, die sich nur aus einem speziellen Blickwinkel erkennen lassen. Insofern ist die Geschichte kein Widerspruch zu den eingangs erwähnten Sätzen. Sie haben ihre absolute Berechtigung. Sie beschreiben aber nur eine unvollständige Sichtweise. Wie ein Besessener arbeitet sich Aubray daran ab, ohne das Dilemma zu erkennen, in dem er sich befindet. Sein persönliches Drama reflektiert den ewigen Widerstreit zwischen Logik und Intuition. Die Faszination für sein Können wechselt sich mit einer ständigen inneren Anspannung angesichts seiner Schwächen ab. Souverän und verloren zugleich seziert Aubray die Tatorte, in denen er immer auch wie der Teil einer übergeordneten Inszenierung wirkt. Die geisterhafte Erscheinung des Killers, der fast nie auftritt, verleiht den bizarr-schönen Todesinzenierung eine undurchdringliche, gefährliche Kraft. Sie schwebt wie ein Damokles-Schwert stets über den Figuren. Der exakte Blick hilft zwar bei der grundsätzlichen Analyse, kann aber alleine das Gesamte nicht erfassen. So bleibt Aubray nur ein getriebener Teilnehmer.

Bildqualität

Das saubere Bild wartet mit einer guten Schärfe auf, welche die detailreichen Arrangements entsprechend wirkungsvoll zur Geltung bringt. Die kräftigen Farben unterstützen die gute Kameraarbeit. Auch der Kontrast weist keine nennenswerten Schwächen auf, so dass auch in dunklen Szenen keine Details verschluckt werden. Rauschmuster treten nicht störend in Erscheinung.

Tonqualität

Die Tonspuren bieten klare und verständliche Dialoge mit einer ausgewogenen Abmischung zu den Nebengeräuschen. Für die räumliche Atmosphäre sorgt hauptsächlich die Musik. Immer wieder werden aber auch subtil einige Nebengeräusche auf die Lautsprecher verteilt.

Extras

Anamorph – Die Kunst zu tötenDas etwa achtminütige Interview mit Henry Miller (Regie) sowie das etwa siebeneinhalbminütige Interview mit Marissa McMahon (Produktion) bietet jeweils kaum mehr als eine Inhaltsangabe. Ein paar Äußerungen über die anamophotische Malkunst, die so bereits im Film selbst vorkommen, und kleinere Einordnungen zur Thematik können die zu Werbezwecken erstellten Interviews kaum aufwerten.

Willem Dafoe (Darsteller) zeigt in seinem etwa achtminütigen Interview, dass auch in diesem Rahmen zumindest etwas mehr an Analyse möglich ist, wenn er seine Figur zu deuten versucht. Scott Speedman (Darsteller) bleibt bei seinen etwa viereinhalbminütigen Ausführungen annähernd auf dem Niveau Millers und McMahons. Unkommentiertes B-Roll-Material (etwa 15 Minuten und 30 Sekunden), eine Bildergalerie und der Trailer runden das Bonusmaterial ab.

Fazit

„Anamorph“ nutzt das Serienkiller-Genre für eine tragische Charakterstudie des ermittelnden Polizisten, der im Laufe der Mordserie immer weiter in seinen intellektuellen Kokon hinein getrieben wird. Willem Dafoe schultert die Rolle souverän. Technisch ist die DVD gut.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel Anamorph (USA 2007)
Länge 99 Minuten (Pal)
Studio Koch Media
Regie Henry Miller
Darsteller Willem Dafoe, Scott Speedman, Peter Stormare, Clea DuVall, u.a.
Format 1:2,35 (16:9)
Ton DTS Deutsch, DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Extras Behind the scenes, Interviews, Bildergalerie, Trailer
Preis ca. 15 EUR
Bewertung gut, technisch gut