Trans Agatha Express

18.15 Uhr ab Ostkreuz

Die unvergleichliche Margaret Rutherford ist für viele Agatha-Christie-Fans die einzig wahre Miss-Marple-Darstellerin. Mit beharrlicher Schrulligkeit löst die Hobbydetektivin Fälle, welche der Polizei zum Teil nicht einmal bekannt sind. So beispielsweise in dem ersten Teil der Verfilmungen mit Margaret Rutherford „16.50 Uhr ab Paddington“. Marple beobachtet in einem Zug, der parallel zu ihrem Zug fährt, einen Mord. Da aber keine Leiche existiert, glauben die Ordnungshüter irrigerweise an eine Einbildung der alten Dame. Dieses Szenario hat Regisseur Jörn Hartmann für seine Parodie nach Berlin verlegt. Die pensionierte Grundschullehrerin Karin Höhne aus Berlin-Haselhorst fährt mit der S-Bahn vom Bahnhof Ostkreuz ab, um im Nebenzug einen Axtmord zu beobachten. Da ihr die Polizei nicht glaubt, stellt sie eigene Recherchen an, wobei sie durch ihre Freundin Rosa Brathuhn unterstützt wird. Die Spur führt in den Friseursalon des Starhaarschneiders Horst Brüller, wo ein bizarres Ensemble ebensolcher Gestalten zu Hause ist. Eine türkische Auszubildende, ein schwuler Friseur, eine herrische Chefin, ein windiger Wirtschaftsberater sowie die harmlose Mitarbeiterin Tausendschön und der Chef Horst Brüller bilden das Figurennetz. Kurz nachdem Karin Höhne eine Stelle als Auszubildende angetreten hat, findet ein weiterer Mord statt, der ihr beweist, dass sie an der richtigen Adresse ist.

Selbstverständlich wurde „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ stilecht in Schwarzweiß erstellt, um den Vorbildern die gebührende Referenz zu erweisen. Eine Vielzahl amüsanter Anspielungen an die Marple-Filme mit Margaret Rutherford sowie das 60er-Jahre-Krimi-Kino – beispielsweise an die Edgar-Wallace-Filme – sorgen für die notwendige Atmosphäre. Darüber hinaus regiert campartig subkulturelles Vergnügen. Die meisten Frauenrollen werden durch entsprechend gekleidete Männer verkörpert, wobei sich das Spiel mit Geschlechterzugehörigkeiten nicht darin erschöpft. Vor allem die Auflösung, welche natürlich nicht verraten wird, bietet ein aberwitziges Transformationsgeflecht, das sowohl in Form einer parodistischen Zuspitzung funktioniert als auch Identitätsfragen beleuchtet. Ganz nebenbei hat Jörn Hartmann solche Themenkreise in den Film eingeflochten, der auf der augenscheinlichen Ebene grelle Gags präsentiert. Der Kommissar ist ein Polizist aus London, der im Rahmen eines Austauschprogramms die Berliner Mordkommission leitet, die türkische Auszubildende trägt den sprechenden Namen Hürriyet Lachmann sowie an einem Tag ein T-Shirt mit der Aufschrift HIP und am nächsten eins mit der Aufschrift HOP, Perücken und dicke Schminke bestimmen das optische Arsenal der Parodie. Vor allem Ades Zabel als Karin Höhne beziehungsweise Hürriyet Lachmann überzeugt mit grenzwertiger Grimassierung, die das Possenspiel im Friseursalon auf überlegene Weise kommentiert. Dabei bleibt die Krimihandlung stets präsent, so dass „18.15 Uhr ab Ostkreuz“ in zweifacher Weise wirkt. Zum einen präsentiert er einen Krimiklassiker als Transvestiten-Version mir grellem Einschlag, zum anderen verbeugt er sich vor dem Charme der Agatha-Christie-Verfilmungen.

Bildqualität

Das Bild besitzt keine Verschmutzungen oder Defekte. Die Schärfe ist gut geworden, ein bisschen hat sich über den Film der Hauch eines Schleiers gelegt, der das Werk zwar nicht exakt wie ein Film aus den 60er Jahren aussehen lässt, ihm aber eine Patinaandeutung verleiht. Das kommt der verschrobenen Atmosphäre sehr zu gute. Während der Kontrast eine sehr gute Figur macht, ist das Bild hier und da ein wenig körnig, an manchen Stellen macht sich leichtes Blockrauschen bemerkbar.

Tonqualität

Der Ton arbeitet grundsolide mit den Möglichkeiten der vorderen Boxen. Die Dialoge sind klar und verständlich, störendes Rauschen tritt nicht auf. Die Musik kann ihre atmosphärische Wirkung entfalten.

Extras

Das Behind the Scenes-Material „Die Wahrheit über Karin Höhne“ (etwa 30 Minuten) besteht aus Setaufnahmen während des Drehs und Filmausschnitten. Telweise greift Ades Zabel alias Karin Höhne selbst ein und raunt erklärende Worte in die B-Roll-Kamera. Dank Zabels Entertainment-Qualitäten sowie der kurzen Aufnahmen von der Berlinale-Premiere, ist die halbe Stunde kurzweilig-unterhaltsam geworden.

Der etwa 25minütige Block der Entfallenen Szenen fällt so durchwachsen aus, wie das bei Entfallenen Szenen eigentlich fast immer ist. Mache sind ausgesprochen sehenswert, vor allem weil Ades Zabel immer interessant ist, mache sind ohne belang. Der Trailer rundet das Bonusmaterial ab.

Fazit

„18.15 Uhr ab Ostkreuz“ transzendiert den Miss-Marple-Klassiker „16.50 Uhr ab Paddington“ auf seine ganz spezielle Weise, die sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist, aber dafür ist der Film auch nicht gemacht. Technisch ist die DVD gelungen.

Stefan Dabrock

   
Originaltitel 18.15 Uhr ab Ostkreuz (2006)
Länge 105 Minuten (Pal)
Studio Heinz und Horst media
Regie Jörn Hartmann
Darsteller Ades Zabel, Andreja Schneider, Pedro Sobisch, Bob Schneider, u.a.
Format 1:1,78 (16:9)
Ton DD 2.0 Deutsch
Untertitel Englisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Schwedisch, Deutsch für Hörgeschädigte
Extras Behind the scenes, Trailer, u.m.
Preis ca. 25 EUR
Bewertung gut, technisch gelungen